*Triggerwarnung*: Im Interview geht es um häusliche Gewalt, um sexualisierte Gewalt, um Täter und Opfer.
Gewalt gegen Frauen ist kein leichtes Thema. Ein Interview darüber ist es auch nicht. Und doch hat Franziska Hartmann es geschafft, die Stimmung zwischen den ernsten Themen zu heben und dann sofort wieder da zu sein, wenn es drauf ankommt. Ein bisschen so, wie sie auch ihren Zugang zu der Rolle beschreibt. Ich mag ihre Aussage, dass sie in dem intensiven Drehmoment sein kann und dann auch wieder intensiv in jedem anderen, wirklich sehr. Weil das auch so ein gesunder Zugang generell im Leben ist. Mehr im hier und jetzt präsent sein.
Wenn ihr von dem Thema nicht getriggert seid, dann empfehle ich euch ganz dringend den neusten „Katharina Tempel“-Fall am 24. November um 20:15 Uhr im ZDF oder ab sofort in Web & App. Mich hat der Film sehr beeindruckt, auch, weil der die Gewalt gegen Frauen eben gar nicht voyeuristisch behandelt.
Katharina Tempel nimmt einen schon ganz schön mit!
Franziska Hartmann: Das hoffe ich doch.
Wie bereitest du dich auf diese Rolle vor?
Ich bereite mich da nicht anders vor als auf andere Rollen. Ich gehe einfach mit der Figur und ihrer Geschichte schwanger. Bei „Katharina Tempel“ steige ich schon recht früh in den Drehbuchprozess ein und beschäftige mich dadurch ziemlich lange und ja auch jedes Jahr wieder mit ihr.
Die Produzentin Lydia Emrich, die Drehbuchautorin Elke Rössler, der Regisseur Jens Wischnewski und ich funktionieren super als Team und sind da in ziemlich regem Austausch. Und auf die ganzen emotionalen Sachen bereite ich mich tatsächlich nicht vor, die entstehen dann im Moment aus der Situation heraus.

Das heißt, wenn der Moment vorbei ist, dann kannst du das, trotz des intensiven Themas, gleich wieder loslassen?
Ja, auf jeden Fall. Für mich ist das keine Anstrengung. Ich kann ganz schnell in die Figuren rein- und dann auch wieder rausspringen. Zum Beispiel hatte ich, als wir den zweiten „Katharina Tempel“-Film gedreht haben, mein damals drei Monate altes Baby am Set dabei. Wann immer es trinken wollte, habe ich gestillt, wenn ich ein Päuschen hatte, war ich natürlich auch bei ihm, und ansonsten hat es bei der Nanny im Tuch geschlafen.
Mich hat das nicht zerrissen, wie man das vielleicht erwartet. Wenn ich spiele, spiele ich. Und wenn ich beim Baby bin, bin ich beim Baby. Ich kann also auch ganz und gar Katharina sein und intensive Szenen spielen und zwischen den Takes eine gute Zeit mit dem Team haben.
In „Katharina Tempel“ ist Gewalt gegen Frauen ein großes Thema und wird so vielschichtig erzählt. Allerdings nicht voyeuristisch, sondern sehr intensiv und eindringlich. Was ist deiner Meinung nach wichtig bei der Darstellung von Gewalt gegen Frauen?
In unserem Fall war uns wichtig, dass wir die gewaltvolle Beziehung von Katharina und Volker komplex darstellen. Es wäre uns zu kurz gedacht, zu erzählen, dass sie ihn ja einfach verlassen kann. Die ZuschauerInnen sollen nachvollziehen können, warum Katharina nicht geht, warum das so kompliziert ist.
Im besten Fall docken sie an ihre eigenen Gefühle an. Denn die meisten von uns kennen das doch, dass man in Situationen ist, die einem nicht guttun, dass man die Hoffnung hat, dass sich Dinge ändern, auch wenn der Verstand sagt, dass sie das nicht tun werden.
Manchmal sind es auch die Umstände, zum Beispiel, dass man wie Katharina gemeinsame Kinder hat, denen man den Vater nicht wegnehmen will, die es schwierig machen. Beziehungen sind komplex, und das ist uns wichtig zu zeigen.
Was die Gewalt an sich angeht, sind für mich die emotionalen Auswirkungen, die solche Taten haben, spannender und wichtiger als die Gewalttat an sich.

Ich frage nur, weil es mich seit Jahren aufregt, dass Gewalt gegen Frauen als ein stilistisches Mittel eingesetzt wird. In jeder zweiten Krimiserie kommt das vor, aber nur als Mittel zum Zweck, um dann über die Täter zu sprechen, zu ermitteln. Gewalt gegen Frauen ist aber kein Unterhaltungsfaktor. Und bei „Katharina Tempel“ ist mir eben aufgefallen, dass ihr das Thema ganz anders angeht.
Es freut mich sehr, dass du das so beschreibst. Ich stimme dir zu, wir sehen dieses Thema unser ganzes Leben lang, es ist Teil unserer Kultur. Gewalt ist überall präsent. Als ich für die Rolle anfing, mich tiefer damit zu beschäftigen und zu recherchieren, habe ich Statistiken gelesen, dass jede dritte Frau in Deutschland Opfer von Gewalt wird. Jede vierte ist von häuslicher Gewalt betroffen. Das wusste ich nicht.
Wenn wir da mit „Katharina Tempel“ ein bisschen aufrütteln, weil die Leute im besten Fall weit mit meiner Figur mitgehen und durch ihre Augen gucken, dann ist doch ganz schön viel geschafft. Weil Menschen sich dieser Gewalt und dem ganzen Thema dann auf eine andere Art nähern.
Man sieht vor allem die Angst der Frauen, nicht unbedingt die Taten, die gegen sie verübt werden.
Das passt ja auch dazu, dass es eine riesige Dunkelziffer von Betroffenen gibt, die niemand sieht. Weil sich so viele Frauen keine Hilfe suchen, weil sie sich schämen oder sich nicht sicher fühlen. Deswegen ist uns auch wichtig zu zeigen, dass Gewalt gegen Frauen keine Frage von Bildung, sozialer Schicht oder Einkommen ist.
Katharina ist eine starke Frau, die mitten im Leben steht, sie ist Polizistin. Es passiert ihr, wie es vielen anderen passiert, auch, weil es ein schleichender Prozess ist. Ist ja wahrscheinlich eher selten, dass der Partner direkt nach dem ersten Date schon loslegt. Und vielleicht passiert es auch wie bei Volker [gespielt von Florian Stetter] und Katharina in ganz unregelmäßigen Abständen.
Die beiden kämpfen sehr für ihre Beziehung. Sie gehen auch zur Paartherapie. Volker schämt sich wahnsinnig. Er leidet, er hasst sich selber. Und Katharina denkt, dass sie ihn irgendwie retten kann. Sie lieben sich und wollen sich nicht loslassen, das muss doch zu schaffen sein… Es ist eben nicht so einfach, wie man von außen manchmal glaubt.

Katharinas Freundin ist da sehr wachsam, sie fragt schon mal nach. Aber Katharina wehrt das ab. Auch das zeigt, dass die Entscheidung zu gehen, nicht von anderen getroffen werden kann, oder?
Ja, das muss Katharina selber schaffen. Es zieht sich ja über mehrere Filme, dass man diese Anziehung und Abstoßung, diese toxisch-destruktive Beziehung verfolgen kann. Man sieht, dass Katharina da nicht so leicht rauskommt. Das ist hart zu beobachten.
Die Frage, wann und wie man den Absprung schafft, ist ziemlich präsent. Katharinas Mann hat sie vielleicht 100 Mal geschlagen. Warum ist das 101. Mal dann das, wo sie geht? Und geht sie wirklich?
Dein Film-Mann Volker sagt in einer Szene, die wir nicht näher beschreiben, um nichts zu spoilern, „Danke, dass du mich gestoppt hast“. Wieso schafft sie es da, aber nicht, wenn es um sie selbst geht?
Das ist eine große Frage. Wie schafft man es denn überhaupt, diesen Kreislauf der Gewalt zu stoppen? Es ist wichtig, dass er zur Therapie geht. [Sie überlegt]
Vielleicht muss man aber auch zu dem Schluss kommen, dass man aus einer gewaltvollen Beziehung keine friedliche machen kann. Ich weiß es nicht.
Ich glaube, dass Katharina davon überzeugt ist, dass sie ihm helfen kann und dass die Beziehung heilen und anders laufen kann. Wenn das nicht so wäre, dann würde sie nicht bleiben.

Ich finde an „Katharina Tempel“ auch gut, dass ihr erzählt, wie lange es dauert, bis sich da vielleicht etwas ändert.
Auf jeden Fall. Es wäre ja auch Quatsch, zu erzählen, dass man einmal kurz in die Therapie gegangen ist, dass man seine eigene Kindheit einmal anspricht und dann ist das ganze Thema gelöst.
Wie geht man denn mit dem Vertrauensbruch innerhalb der Beziehung um? Der geht ja von beiden Figuren aus. Volker, der seine Frau verletzt, und Katharina, die ihren Mann für fähig hält, eine Frau vergewaltigt zu haben.
Auch meine Figur hat da einen krassen Vertrauensbruch begangen. Für Volker ist klar, dass er niemals eine Frau vergewaltigen und ermorden würde, aber seine geliebte Ehefrau unterstellt ihm das. Die kann sich das vorstellen. Das ist doch monströs.
Natürlich hat Katharina einen Grund für ihre Verdächtigung. Aber stellen wir uns das mal im echten Leben vor. Stell dir vor, Du traust deinem Partner solche Taten zu. Wie soll so eine Beziehung weitergehen?
Hat sich dein Blick auf Beziehungen durch „Katharina Tempel“ verändert?
Ich glaube nicht, weil ich schon immer versuche, anderer Leute Beziehungen und Verstrickungen nicht zu bewerten. Man steckt halt nicht drin.
Kleiner Hinweis:
Im Interview wird sehr deutlich, worum es im neuen Fall von Katharina Tempel geht, um Gewalt gegen Frauen. Ihr könnt im Interview rauslesen, dass ich das Thema sehr gut umgesetzt finde, was aber nicht bedeutet, dass es euch nicht triggern kann. Passt da also gut auf euch auf.
Solltet ihr von Gewalt betroffen sein, könnt ihr euch, auch anonym, an das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen unter 116 016 wenden. Die Beratung kann am Telefon oder online in 18 Sprachen stattfinden. Die Beratung in Gebärdensprache ist ebenso möglich, wie in leichter Sprache.
Es gibt auch das Opfertelefon vom Weißen Ring, das ihr unter 116 006 erreicht. In Berlin gibt es die Gewaltschutzambulanz, in der rechtssicher sichtbare Verletzungen nach körperlicher Gewalteinwirkung dokumentiert werden. Ihr müsst nicht sofort Anzeige erstattet, sondern habt die Möglichkeit, erstmal alles dokumentieren zu lassen, bevor ihr den Mut für diesen Schritt fasst.
„Katharina Tempel: Was wir begehren“ könnt ihr am 24. November um 20:15 Uhr im ZDF sehen. Alternativ steht der Film ab sofort in Web & App des ZDF zur Verfügung.

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