Ich weiß nicht, wie sehr ihr euch für EDM, Electronic Dance Musik interessiert. Wenn dem so ist, dann ist euch Kanding Ray vermutlich ein Begriff. Der französische DJ und Produzent performt seine Musik live und überall auf der Welt. Für alle aus Berlin gibt es Ende August im Berhain und Anfang September die Chance dazu.
Zur Einstimmung auf Kanding Rays umfangreiches Können, und, weil der Film einfach so sehenswert ist, empfehle ich euch dringend den Kinobesuch von „Sirat“. Über genau den Film, Klänge, Bedeutung und genug sein, habe ich auch mit ihm gesprochen.
Warum hast du dich dazu entschieden, für „Sirat“ das Sounddesign zu übernehmen?
Kanding Ray: Zunächst einmal, weil ich gefragt wurde. [Er lacht] Oliver hat mich gefragt, ob wir daran zusammenarbeiten wollen. Er hatte eine sehr klare Vorstellung davon, wie sich dieser Film anhören soll. Er hatte viele Referenzen für seinen gewünschten Sound, und einige davon kamen von Solens Arc“, einem Album, das ich vor zehn Jahren gemacht habe. Das hat eine sehr spezifische, analoge, fast schon rohe Textur.
Es ist ein bisschen Techno dabei, aber das Album ist auch sehr emotional, gemixt mit Ambient. Genau das hatte er für seinen Film auch im Kopf. Wenn wir der Erzählung im Film folgen, dann ist es ja auch genau das: die Erfahrung zwischen Techno und dem spirituellen Erleben am Ende.
Wie zufrieden bist du mit dem Gesamtergebnis, auf einer Skala von 1-10?
11!
Wie war es für dich, als du den Film zum ersten Mal gesehen hast?
Ich habe ihn ja in verschiedenen Stadien schon immer wieder gesehen. Aber bei der Premiere in Cannes war das schon etwas sehr Beeindruckendes. Immerhin passen 2500 Menschen in diesen Kinosaal, das Grand Auditorium Louis Lumière, und sie haben diesen Saal mit einem der besten Dolby-Atmos-Soundsysteme, die es auf der Welt gibt, ausgestattet.
Es war also wirklich beeindruckend und definitiv ein Highlight meiner Karriere. Wir wussten im Vorfeld ja nicht, wie die Leute darauf reagieren würden. Du weißt, dass du etwas gut gemacht hast, aber zum ersten Mal zu sehen, dass andere das auch fühlen, dass sie merken, dass da etwas Wichtiges passiert, das ist etwas sehr Besonderes. Da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass wir etwas Wichtiges erschaffen haben.

Gab es jemals in deiner sehr erfolgreichen Karriere den Moment, an dem du dachtest: Wenn ich das oder das erreicht habe, dann bin ich wirklich erfolgreich. Dann habe ich es geschafft und bin glücklich!
Ja, schon sehr oft. Ich könnte jetzt in diesem Moment aufhören, weil ich so viel erreicht habe. Ich hätte sogar schon vor langer Zeit aufhören können. Ich muss mir nicht mehr beweisen, dass ich gut bin. Aber ich möchte nicht. [Er lacht]
Ich habe keine extravaganten Vorstellungen davon, wie mein Leben weitergehen soll. Ich habe so viel mehr erreicht, als ich je gedacht hätte. Aber warum soll ich aufhören? Das, was ich mache, funktioniert, es ist wichtig für viele Menschen. Deswegen glaube ich, meine Mission ist noch nicht vorbei.
Was inspiriert dich in deinem Leben?
Da gibt es gar nichts Konkretes! Ich reagiere viel auf Ideen oder Verbindungen, die entstehen. Das geschieht oft in Bezug auf Texturen oder Räume, in denen ich mich aufhalte. Musik ist doch immer eine Reaktion auf einen Kontext, in dem du dich befindest. Die Bedeutung von Klängen ändert sich, je nachdem, in welchem Umfeld du ihn wahrnimmst.
Wenn ein Klang, ein Geräusch für eine Zeremonie gedacht ist, hat er eine andere Bedeutung, als wenn es um eine religiöse Begegnung geht. Ein Rave, bei dem du sehr harten Techno hörst, hat eine andere Bedeutung, als wenn du zu Hause auf dem Sofa sitzt und klassische Musik oder Ambient hörst. Alles ist Klang, aber es kommt auf den Moment, die Bedeutung und den Kontext an.
Was treibt dich an? Geht es darum, dass du Menschen mit deiner Musik erreichen willst, oder geht es dir eher darum, Hauptsache Musik zu machen?
Ich stelle mir immer den Ort und den Moment vor, an dem meine Musik gehört wird. Bei dem Film zum Beispiel habe ich darauf geachtet, wie die Bilder zusammen mit der Musik dann wirken. Mich interessiert die Frage: Wie verändert sich eine Szene dadurch, dass Klänge zu hören sind?
Das verstehe ich. Um auf meine Frage zurückzukommen: Würdest du auch Musik machen, wenn dir niemand zuhören würde?
Das ist eine gute Frage! Vermutlich schon. Vielleicht nicht mit der gleichen Intensität, mit der ich es tue. Aber ich würde vermutlich genauso weitermachen. Denn ich bin ja immer der Erste, der sich meine Musik anhört. Ich tanze dazu, ich weine dazu, ich habe all die Emotionen. Ich bin mein schärfster und erster Kritiker. Wenn es mich berührt, dann berührt es vielleicht auch jemand anderen.
Aber natürlich ist mein Ziel, andere mit meiner Musik zu berühren. Wenn ich es nur für mich tun würde, dann wäre meine Mission nicht erfolgreich. So fühle ich das jedenfalls.
Gibt es in deinem Leben auch stille Momente? Oder sind da immer Klänge?
Ja, eigentlich schon. Meine Freundin wünscht sich schon immer mal etwas mehr Ruhe. Auch deswegen versuche ich, die Ruhe mehr schätzen zu lernen. Denn natürlich ist die auch wichtig. Ich bin nur auch sehr leidenschaftlich, wenn es um Musik geht. Ich liebe es nicht nur, mich mit Musik zu umgeben, sondern mit Klängen.
Brauchen wir nicht die Stille, um die Klänge wertzuschätzen?
Ja, auf jeden Fall. Wir brauchen z.B. auch die Stille in der Musik. Die Pause zwischen den Noten ist genauso wichtig wie die Noten selbst.
Welche Erfahrungen, die du während deiner Auftritte gesammelt hast, wirst du nie wieder vergessen?
Jedes Mal, wenn ich im Berghain spiele, ist das etwas ganz Besonderes für mich. Es ist so intensiv, so schön, wie viel dem Publikum dort meine Musik bedeutet. Vor denen zu stehen, das ist für mich ein absoluter Meilenstein.
Es gibt in Japan das Labyrinth Festival, das für mich in meiner Karriere eine große Rolle gespielt hat. Ich habe dort einige Male aufgelegt und werde dieses Jahr wieder vor Ort sein. Darauf freue ich mich sehr, denn es befindet sich in den Bergen, vier Stunden außerhalb von Tokio. Du bist mitten in den Bergen, im Wald, und es hat einen japanischen Hippie-Vibe. Das ist unglaublich. Und sie haben da eines der besten Soundsysteme auf dem Planeten.
Ich glaube, dort zu sein, kommt einer religiösen Erfahrung in Bezug auf Klänge am nächsten. Das ist etwas, das ich nicht missen möchte.

Sirat läuft ab 14. August in den Kinos. Wenn ihr vorhabt, diesen Sommer nur für einen Film ins Kino zu gehen, dann lege ich euch diesen wirklich sehr ans Herz.
Die Geschichte um einen Vater (Sergi López), der gemeinsam mit seinem Sohn auf einem Rave in den Bergen Südmarokkos nach Tochter Mar sucht, ist wirklich eindringlich.
Denn Mar ist seit Monaten unterwegs, niemand weiß so genau, wo sie ist. Vater und Sohn treffen auf eine Grupper Raver (alles Laienschauspielende!), die von einer letzten Party erzählen. Noch viel abgelegener als alles, was sie bisher kannten. Die beiden beschließen, sich auf das einzulassen, was da kommen mag. Und ich kann euch einfach nur raten, das auch zu tun.
Mehr über Kanding Ray und seine Musik findet ihr u.a. auf Instagram.
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