Florian Stetter im Interview mit Andrea Zschocher

Florian Stetter: „Die Perversion ist, dass man nicht damit rechnet, dass jemand, der so cool und locker ist, so ein niederträchtiger Typ sein kann“

*Triggerwarnung*: Im Interview geht es um häusliche Gewalt, um sexualisierte Gewalt, um Täter und Opfer.

Das Interview mit Florian Stetter war kein leichtes. Und das nicht, weil der Schauspieler es mir schwer gemacht hätte, ganz im Gegenteil. Ich rechne es ihm hoch an, dass er sich mit mir in all diese Abgründe begeben hat, ohne zu beschwichtigen, zu relativieren oder seine Figur zu verteidigen.

Florian Stetter hat sich Zeit genommen, wir waren beide sehr am Thema interessiert. Beste Voraussetzungen also für einen tiefen Austausch. Manchmal muss man ja auch dahin gehen, wo es weh tut. Und dieses Interview tut weh, weil die Themen so sehr schmerzen.

Deswegen empfehle ich euch vor dem Lesen des Interviews, auf euch zu schauen, ob ihr gut mit den angesprochenen Themen zurecht kommt. Florian spielt in „Katharina Tempel: Was wir begehren“ einen Ehemann, der Gewalt gegen seine Frau verübt und unter dem Verdacht steht, eine andere Frau vergewaltigt zu haben. Die Themen sind im Interview zentral.

Wie kommst du in deinen Volker Tempel rein? Wie bereitest du dich darauf vor? Denn er wird ja hoffentlich sehr wenig mit deinem eigenen Leben zu tun haben.

Florian Stetter: Ja, zum Glück. Für mich war das erstmal auch sehr intensiv. Das ist nichts, was ich als Schauspieler einfach so abspule und bei dem ich mir morgens überlege: „Kein Problem, das spiele ich heute einfach so.“ Das ging mir auch total unter die Haut.

Gerade bei solch einem Thema ist natürlich wichtig, dass das Team stimmt, dass du einen Regisseur hast, dem du vertrauen kannst. Den hatte ich mit Jens Wischnewski. Der hat uns gut geschützt, hat mich und auch Franziska Hartmann [sie spielt Katharina Tempel] gut an der Hand genommen.

Franziska und ich können einfach wahnsinnig gut miteinander spielen, haben uns auch privat was zu erzählen und können zwischendurch auch mal lachen. Das ist gerade bei so einem Thema, wenn man sich in den Figuren so krass miteinander konfrontiert, superwichtig. Da muss man zwischendrin auch mal gemeinsam lachen oder über etwas Triviales sprechen.

Ich bin auch genau deswegen Schauspieler geworden, weil ich mich solchen Abgründen gern spielend annähern möchte. Ich möchte mich dem, was zum Glück ganz weit von mir weg ist, gern nähern können. Ich bin einigermaßen gesund konstituiert. Immer nur das zu erzählen, das finde ich furchtbar langweilig. Stattdessen möchte ich als Schauspieler das Leben in möglichst vielen Facetten abbilden. Da ist so eine Rolle tatsächlich ein Geschenk, weil sie mich sehr fordert, weil ich mutig sein und bestimmte Grenzen auch überschreiten muss. Das erfüllt mich als Schauspieler sehr.

Florian Stetter im Interview mit Andrea Zschocher zu Katharina Tempel
© ZDF/Georges Pauly

Franziska Hartmann hat gesagt, dass sie aus den düsteren Momenten sehr schnell wieder herauskommt. Wie ist das bei dir? Kannst du deine Figuren gut loslassen?

Das kommt immer drauf an, wie stark ich mit der Figur verbunden bin.

Bei „Nackt unter Wölfen“*, einem Film, bei dem ich jemanden gespielt habe, der sich in einem Konzentrationslager um ein kleines Kind kümmert, ging mir das wahnsinnig unter die Haut. Da habe ich bestimmt zwei, drei Monate gebraucht, um diesen traurigen Schatten wieder loszuwerden.

Den Volker aus „Katharina Tempel“ werde ich super schnell wieder los, weil ich privat so distanziert zu diesem Typen bin. Da fiel es mir umgekehrt eher schwer, in die Rolle reinzufinden. Ich musste mich da länger drauf vorbereiten, um während des Spiels da neutral rangehen zu können. Diese ganzen Vorbehalte, die ich privat gegen so jemanden habe, diese natürliche Abwehr, die musste ich für mein Spiel ablegen. Es ging also mehr darum, mir die Rampe zu bauen, dass ich ihn spielen kann. Das ist mir, denke ich, ganz gut gelungen.

Es ist dir meiner Meinung nach auf jeden Fall gelungen. Denn die Gewalt gegen Frauen, wie sie in „Katharina Tempel“ auch von dir dargestellt wird, ist sehr intensiv, aber nicht voyeuristisch. Sie ist kein Mittel zum Zweck, wie ich das oft bei Filmen erlebe. Hier geht man mit, man stumpft nicht ab, wie das leider viel zu oft passiert, wenn es um Gewalt gegen Frauen geht.

Erstmal freut es mich, dass du das so beschreibst, denn ich als Mann habe da gar nicht viel zu melden. Wenn ich überlegen soll, warum diese Wirkung erzielt wird, dann vielleicht deswegen, weil Volker kein typischer „Bad-Guy“-Täter ist. Er ist jemand, der auch mit sich selber ringt, der eigentlich jemand anderes sein möchte. Der will nicht in diese unkontrollierte Aggression kommen müssen. Aber er schafft es auch nicht, da rauszukommen.

Ich glaube, genau dieses Ringen, dass der wirklich auch versucht, da therapeutisch rauszukommen, sich sinnvolle Beschäftigungen sucht, dass er hofft, in seinem Familienleben gesunden zu können, das macht ihn nahbar und untypisch für einen Täter.

Es gibt auch diese Liebe zwischen den beiden, auch wenn sie toxisch ist. Katharina und Volker ringen miteinander, aber es gibt auch Momente, die wirklich schön sind. Es gibt keinen permanenten Gewaltakt, aber es gibt einen Teufelskreis, den sie nicht wirklich durchbrechen können. Es gibt immer wieder Momente, in denen man hofft, und dann passiert es trotzdem wieder.

Florian Stetter im Interview mit Andrea Zschocher
© Mathias Bothor

Es ist leider sehr realitätsnah, denn jeder dritten Frau wird diese Gewalt angetan, und zwar durch alle Gesellschaftsschichten. Vielleicht macht auch das die Wirkung aus, dass in einem Film mal gezeigt wird: Es kann auch passieren, wenn die Frau Ermittlerin ist und der Mann Polizeisprecher. Es kann wirklich jede Frau treffen, und niemand ist davor geschützt.

Ich habe das in meinem Bekanntenkreis durchaus von Frauen gehört, dass ihre Typen entweder gewalttätig sind oder sie ohne Ende betrügen. Die sagen den Frauen auf der einen Seite: „Du bist alles für mich, du bist die Eine“, und dann machen die so was.

Es sind vielleicht auch oftmals die charmanten Typen oder die, die gesund konstituiert wirken. Das verdeutlicht ja nur, wie wahnsinnig schwer es ist, das zu durchschauen. Man kommt da mit gesundem Menschenverstand auch nicht immer dahinter. Die Perversion ist vielleicht auch, dass man damit überhaupt nicht rechnet, dass jemand, der so cool und nett und locker ist, so ein niederträchtiger Typ sein kann.

Das ist bei Volker auch so. Ich will den überhaupt nicht entschuldigen, weil es bei dem nichts zu entschuldigen gibt. Volker ist für mich ganz klar ein Täter! Ich glaube aber, dass der sich vor seiner Selbst graust. Das ist vielleicht auch typisch für diese Täterschaft, dass manche sich auch schämen in diesen Momenten. Natürlich gibt es auch Narzissten, die sich vorm Spiegel noch einen runterholen um ihrer selbst willen. Aber so einer ist Volker nicht. Er ist zumindest jemand, der sich für seine Taten durchaus auch ablehnt. Das macht es am Ende aber natürlich nicht besser.

Florian Stetter im Interview mit Andrea Zschocher zu Katharina Tempel
© ZDF/Georges Pauly

Es gibt die Szene, in der deine Filmmutter vollkommen fassungslos ist, …

Eine ganz wichtige Szene!

Ja, auf jeden Fall. Wir wollen auch nichts spoilern, deswegen formuliere ich es vage: Wie groß ist die Schuld unserer Eltern, weil sie uns Dinge vorgelebt haben, und wie lange kann man das als Ausrede nutzen, um nicht an sich selbst zu arbeiten?

Ich glaube nicht, dass man es sich so einfach machen kann, dass man sagt: „Hey, bei euch war immer Stress, und jetzt ist bei mir halt auch Stress. Ich kann ja gar nicht anders.“ Für solche Ausreden sind wir Menschen zum Glück zu komplex. Das war vielleicht früher mal so, aber so leicht zieht sich doch heute niemand mehr aus der Schlinge.

Die Szene, die du ansprichst, trifft Volker ins Mark. Seine Mutter erkennt ihn und gibt ihm ganz klar zu verstehen: Ich weiß, wer du bist. Er kann das nicht mehr leugnen, und beide wissen das.

Natürlich ist es schwer, wenn man Traumatisches in der Kindheit erlebt hat. Aber das darf nicht als Ausrede gelten, keine Verantwortung zu übernehmen. Denn man ist ja nicht mehr das Kind von früher.

Das sehe ich ähnlich. Wir sind natürlich alle nicht davon gefeit, dass wir Dinge in uns tragen. Ob das von den Eltern, den Großeltern oder von Generationen davor kommt, wir haben da Anteile in uns. Das kann sich also noch Jahrzehnte später zeigen. Aber wir sind selber verantwortlich und können uns Hilfe suchen. Man kann mit therapeutischer Hilfe so viel aufarbeiten. Das ist nicht immer einfach. Aber es ist ein Weg.

Florian Stetter im Interview mit Andrea Zschocher zu Katharina Tempel
© ZDF/Georges Pauly

Volker ist ganz klar ein Täter, das müssen wir nicht diskutieren. Du hast vorhin aber das Toxische in der Beziehung angesprochen. Denn auch wenn Katharina das Opfer ist,  schon der Gedanke, dass sie ihren Mann für fähig hält, eine Frau zu vergewaltigen, kann das Weiterführen einer Beziehung doch eigentlich unmöglich machen, oder?

Ich glaube, das ist wahrscheinlich eine der schlimmsten Sachen, die man einem geliebten Menschen zutrauen kann. Denn dann stimmt ja grundsätzlich etwas nicht. Wenn du deinem Partner so etwas zutraust, dann ist das der Punkt, an dem du überprüfen solltest, wie du aus dieser Beziehung rauskommst.

Wahrscheinlich ist es, wenn man solche Gedanken hat, eigentlich schon zu spät. Wenn ich mir überlege, dass man eine Liebesbeziehung oder eine ernsthafte Beziehung miteinander führt und den Partner, die Partnerin für fähig empfindet, so etwas zu tun … Da muss man sich um Heilung für sich selbst bemühen und den Weg aus der Beziehung gehen.

Kleiner Hinweis:

Im Interview wird sehr deutlich, worum es im neuen Fall von Katharina Tempel geht, um Gewalt gegen Frauen. Ihr könnt im Interview rauslesen, dass ich das Thema sehr gut umgesetzt finde, was aber nicht bedeutet, dass es euch nicht triggern kann. Passt da also gut auf euch auf.

Solltet ihr von Gewalt betroffen sein, könnt ihr euch, auch anonym, an das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen unter 116 016 wenden. Die Beratung kann am Telefon oder online in 18 Sprachen stattfinden. Die Beratung in Gebärdensprache ist ebenso möglich, wie in leichter Sprache.

Es gibt auch das Opfertelefon vom Weißen Ring, das ihr unter 116 006 erreicht. In Berlin gibt es die Gewaltschutzambulanz, in der rechtssicher sichtbare Verletzungen nach körperlicher Gewalteinwirkung dokumentiert werden. Ihr müsst nicht sofort Anzeige erstattet, sondern habt die Möglichkeit, erstmal alles dokumentieren zu lassen, bevor ihr den Mut für diesen Schritt fasst.

„Katharina Tempel: Was wir begehren“ könnt ihr am 24. November um 20:15 Uhr im ZDF sehen. Alternativ steht der Film ab sofort in Web & App des ZDF zur Verfügung.


Kommentare

Eine Antwort zu „Florian Stetter: „Die Perversion ist, dass man nicht damit rechnet, dass jemand, der so cool und locker ist, so ein niederträchtiger Typ sein kann““

  1. […] dass der Partner direkt nach dem ersten Date schon loslegt. Und vielleicht passiert es auch wie bei Volker [gespielt von Florian Stetter] und Katharina in ganz unregelmäßigen […]

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