Interview Jenny Schily zu "Im Haus meiner Eltern" Andrea Zschocher

Jenny Schily: „Inwieweit bin ich verantwortlich für meine Familie, für Eltern oder Geschwister?“

Jenny Schily spielt nicht nur in sehr sehr vielen Filmproduktionen mit, sondern ist auch an diversen Theatern dieses Landes zuhause. Ich kann wirklich nur empfehlen, da mal nach ihr Ausschau zu halten, denn ihre Arbeit finde ich sehr beeindruckend.

Wenn ihr nicht so lange warten wollt, dann schaut euch „Im Haus meiner Eltern“ im ZDF an. Jenny Schily ist für ihre Rolle als Holle aktuell für den Deutschen Schauspielpreis nominiert und der Film eine echte Wucht. Mein Tipp: Lasst euch darauf ein.

„Im Haus meiner Eltern“ ist durchaus ein Film, der einem viel zumutet. Ich mag das ja. Warum sollten Filme uns mehr zumuten?

Jenny Schily: Weil es im ursprünglichsten Sinne etwas in einem bewegt, wenn man etwas zugemutet bekommt. Sich etwas zuzumuten ist aber auch ein weiter Begriff. [Sie überlegt] 

Ich mag Filme, in denen mir nicht alles erklärt wird. Ich mag es, wenn ich ein Stück weit draufschauen, im wahrsten Wortsinn zusehen darf, und sich dann bei mir etwas tut. Wenn alles schon da und gefühlt ist, passiert das eher seltener. 

Das Zumuten kann etwas in mir auslösen, worüber ich möglicherweise länger nachdenke, als wenn ich nur in dem bestätigt werde, was ich vielleicht eh denke oder fühle.

Jenny Schily im Interview zu "Im Haus meiner Eltern" Andrea Zschocher
© ZDF / Konstantin Pape

Auf den Film muss man sich durchaus einlassen, muss ihn sich Stück für Stück erarbeiten. In Zeiten von Social Media ist das aber auch ein Wagnis. Denn bei „Das Haus meiner Eltern“ kann niemand noch nebenbei auf dem Handy rumdaddeln, weil man sonst soviel verpasst. Und: Man muss Langsamkeit schon auch aushalten.

Ich glaube, das ist bei jedem guten Film so, dass man etwas verpasst, wenn man nebenbei was anderes macht.

Klar ist es schade – ohne das Internet in Gänze verteufeln zu wollen- dass die Aufmerksamkeitsspanne immer weiter sinkt durch die ununterbrochene Beballerung mit Bildern, Clips etc.             

Die Fähigkeit, sich einzulassen, auch wenn es mal unangenehm wird oder scheinbar nichts passiert, geht dabei, glaube ich, ein Stück weit verloren.  

Ich fände gut, wenn Film als eine Kunstform in der Schule gelehrt würde. So wie wir den Umgang mit digitalen Medien lernen, sollte sich auch mit Filmen beschäftigt werden, die nicht reines Entertainment sind. 

Ich hatte, bei einem anderen Film von mir, der auch sehr langsam und statisch erzählt wird, eine schöne Begegnung mit einer jungen Frau. Sie sprach davon, dass sie die Schnelligkeit auf Social Media nur schwer aushalten kann und es genossen hat, sich auf diesen Film mit seinen langen Einstellungen einzulassen. Das gibt es eben auch.

Dein Film-Mann stellt die Frage in den Raum: Würden wir unsere Eltern mögen, wenn sie nicht Teil der Familie wären. Ich finde das eine super spannende Frage. Inwieweit sind wir verpflichtet, uns um unsere Eltern zu kümmern?

Im Grunde ist das die zentrale Frage des Films. Inwieweit bin ich verantwortlich für meine Familie, für Eltern oder Geschwister? Wie viel tue ich aus Verpflichtung? Wie sehr will ich helfen oder habe das Gefühl, helfen zu müssen? Mein Spielmann [Johannes Zeiler] geht noch einen Schritt weiter und fragt: Würdest du deine Eltern überhaupt lieben, wenn sie nicht deine Eltern wären? 

Je genauer man sich diese Fragen stellt, desto schwerer ist es, sie zu beantworten. Denn natürlich ist es gesellschaftlicher Konsens, dass wir uns um unsere Familienmitglieder kümmern. Das wird auch von der Gesellschaft erwartet. Bin ich also ein schlechtes Kind, wenn ich mich nicht um meine Eltern oder Geschwister kümmern möchte?

Jenny Schily im Interview zu "Im Haus meiner Eltern" Andrea Zschocher
© ZDF / Konstantin Pape

Von den Geschwistern im Film ziehen sich zwei aber raus. Es bleibt alles an deiner Holle hängen.

Holles Perspektive ist eine andere. Sie argumentiert so gar nicht. Diese theoretische oder gar philosophische Frage (ihres Mannes) interessiert sie nicht. Für sie ist das Thema: Da sind Menschen, ihre Eltern, die sind schwach und brauchen ihre Hilfe. Deswegen macht sie das jetzt. Punkt.

Letzten Endes fällt ihr das auch auf die Füße. Ihre eigene Unbedingtheit, mit der sie Dinge tut und sich dabei von allen anderen im Stich gelassen fühlt.

Helfen ist nicht einfach. Man kann nur helfen, wenn man genug Kraft hat und selbst gerade keine Hilfe braucht. Und man muss sich selbst lieben, um andere lieben zu können. Es ist wie mit den Sauerstoffmasken im Flugzeug: „erst selbst aufsetzen, dann den anderen dabei helfen.“ Das klingt egoistisch, ist aber, glaube ich, der einzige Weg. 

Und selbst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist es immer noch nicht einfach, jemandem wirklich zu helfen. Wir tendieren oft dazu, die eigenen Gefühle mit denen des Gegenübers zu verwechseln. Wir fragen uns als erstes: Wie würde ich reagieren? Wie würde ich mich fühlen? Aber darum geht’s nicht nur. Es geht vor allem darum, wie es für den Anderen ist,   der eben anders ist als ich. Das ist super schwer. 

Der Begriff Empathie wird oft benutzt im Sinne von: Ich fühle mit dir – wäre ich in deiner Situation, wäre ich jetzt (zB.) auch sehr traurig. Ich glaube, so paradox es klingt, tut eine gewisse innere Distanz gut, die es mir erlaubt, erstmal zuzuhören, ohne gleich zu bewerten.

In Beziehung zu Holles Bruder Sven spielt das eine große Rolle. Mit ihm scheint die (Über-)Identifizierung nicht möglich, weil er in seinem Handeln, Wollen und Wünschen so schwer lesbar ist.

Interview Jenny Schily zu "Im Haus meiner Eltern" Andrea Zschocher
© ZDF / Konstantin Pape

Hast du Holle kennengelernt?

Ich habe einige Fotos und ein kurzes Video gesehen, in dem sie als Heilerin arbeitet. Da es sich um die Mutter des Regisseurs (Tim Ellrich) handelt, habe ich aber relativ frühzeitig entschieden, sie lieber nicht vor der Arbeit kennenzulernen, um mir meine spielerische Freiheit zu bewahren. Auch bezüglich der Heilarbeit wollte ich gerne etwas Eigenes finden und wir haben die Bewegungen dann gemeinsam mit Konstantin Pape [Kamera] entwickelt. Wir waren uns einig, dass der Fokus sein muss, es nicht ins Lächerliche zu ziehen. 

Bei der Premiere in Rotterdam [beim International Film Festival Rotterdam] haben Tims Mutter und ich uns dann zum ersten Mal gesehen. Wir waren, glaube ich, beide aufgeregt. Sowohl sie als auch ich hatten bis dahin nur Ausschnitte gesehen und schauten den Film nun zum ersten Mal in Gänze auf der Leinwand. Sie mochte den Film sehr und ich war erleichtert und froh.

Wie war das für dich als Schauspielerin, dass du nicht nur die Mutter des Regisseurs spielst, sondern auch noch im Haus der Großeltern gedreht wird? Das ist ja alles schon sehr nah an der Realität.

Es war ein langer Prozess. Der Regisseur und ich sind uns sehr früh begegnet. Das Drehbuch befand sich noch in den Anfängen und die ganze Produktion stand noch nicht. Er schrieb lange am Buch und währenddessen starb der echte Sven. Schon in der ersten Drehbuchfassung kam Svens Tod (in versteckterer Form) vor und Tim wurde quasi von der Realität eingeholt. Natürlich brauchte er danach erstmal eine Pause, bevor er wieder anfangen konnte, zu schreiben.

Ich glaube, die größte Herausforderung bei so einem persönlichen Stoff ist, sich vom Original zu emanzipieren. Das bedeutet auch, sich ein Stück weit davon wegzubewegen. Ich bin zB. ein ganz anderer Typ als Tims Mutter und obwohl er sich früh für mich entschieden hat, hat er noch eine Weile damit gehadert. Letztendlich ist aber das ganze Spielensemble -vielleicht bis auf die Figur des Sven- ein sehr eigenes geworden, ganz anders als die originale Familie. Ich glaube, dass war gut für die Entstehung des Films.

Im Haus der Großeltern zu drehen war für uns Schauspielende   gar nicht so schwer. Ich kenne Tims Großeltern nicht. Ich glaube, für ihn war es am Herausforderndsten. 

Es geht in dem Film um pflegende Angehörige. Da gibt es einige Filme, aber bei weitem noch nicht genug. Warum ist das ein Thema, das in mehr Filmen bearbeitet werden sollte?

Es ist ein Thema, das uns alle betrifft. Ganz unabhängig von der individuellen Familienstruktur oder Kultur, ist es ein universelles Thema. Das macht vor keiner, wie auch immer weit gefassten familiären Konstellation Halt. Es gibt immer Ältere, Jüngere, Schwächere. Es gibt Menschen, die krank oder älter werden, die krank sind. Diese Menschen mitzunehmen, ist wichtig.

Eines der schönsten Dinge an unserem Film ist für mich, dass es ihm gelingt, jede Figur irgendwie zu verstehen, sogar Sven.

Der Film versucht, niemanden zu be- oder gar zu verurteilen. Für mich ist das übrigens auch eine Grundvoraussetzung fürs Helfen. Mach, wie du kannst, wie du willst. Aber mach halt!

Das Bemühen ist wichtig, dass es einem nicht egal ist. Aber auch, dass man sich in seinem Denken und Handeln immer wieder befragt. Filme, die das vermitteln, sind wichtig. Dass wir uns [nach dem Schauen des Films] fragen, wie wir persönlich damit umgehen. 

Das war für mich auch das Besondere in Rotterdam – ein internationales Publikum, das die Sprache vielleicht im Detail gar nicht versteht, hat der Film mitgenommen und berührt. Wir hatten sehr schöne Publikumsgespräche, die das gezeigt haben.

Im Haus meiner Eltern“ läuft im Rahmen der „Shooting Stars – Junges Kino im Zweiten“ am 04. August um 0:05 Uhr im ZDF. Alternativ könnt ihr den Film jederzeit in der ZDF Mediathek anschauen.


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