Nathalie Klüver im Interview zum Thema Pubertät

Nathalie Klüver: „Das Paradoxe an unserer Aufgabe als Eltern ist es ja, dass wir überflüssig werden“

Ich bin mir ja fast sicher, dass ihr schon mal was von der Autorin und Journalistin Nathalie Klüver gelesen habt. Immerhin hat sie nicht nur so eben ihr zehntes (!) Buch veröffentlicht, sondern schreibt für verschiedene Medien auch immer wieder über Familienpoltik. Da sich Nathalies und mein Weg beruflich schon öfter gekreuzt hat, war es natürlich nur naheliegend, sie zu ihrem neuesten Buch „Sag zum Abschied leise … yippie“ zu befragen.

Wenn ihr denkt: Ach, Pubertät, da habe ich ja noch voll viel Zeit, dann lasst euch gesagt sein: Nicht nur, dass die Zeit wirklich schneller kommt, als gedacht, ich finde vor allem auch den Hinweis von Nathalie wichtig, dass wir am besten schon lange vor der Zeit verstehen, was uns ausmacht, motiviert und was wir vom Leben wollen. Mehr dazu, zur Pubertät und für wen das Buch, das ab sofort überall erhältlich ist, gedacht ist, lest ihr im Interview

Sag zum Abschied leise … yippie“* finde ich einen ganz tollen Titel. Der ist so positiv und bespielt mal nicht das Schreckgespenst Pubertät. Was sagst du?

Nathalie Klüver: Ich finde den Titel und auch den Untertitel „Was wir feiern können, wenn die Kinder langsam groß werden“ super.

Mir geht’s darum, mit diesem Schreckgespenst Pubertät und dieser Angst, auseinanderzugehen, aufzuräumen. Zwei meiner drei Kinder sind aktuell in der Pubertät, und ich finde das großartig – zu sehen, wie sie größer werden und richtige Persönlichkeiten. Man kann mit ihnen ganz andere Gespräche führen, als das mit kleineren Kindern der Fall ist.

Man lernt viel mehr über sie und was sie bewegt. Natürlich gibt es auch schwierige Momente, und man muss da manchmal den richtigen Zeitpunkt abpassen. Die Klassiker wie Kinder, die nach der Schule nach Hause kommen und erst mal wortlos in ihr Zimmer verschwinden, weil sie k.o. oder genervt sind, die gibt es natürlich auch.

Aber wenn man dann ein bisschen abwartet und sie nicht allzu sehr nervt – und ja, auch das muss man lernen – dann öffnen sie sich, und man kann auf einem ganz anderen Niveau Gespräche mit ihnen führen. Ich finde das großartig. Und genau das wollte ich ausdrücken.

Und dann ist da auch noch die Freude über die Zeit, die man wieder für sich selbst hat. Die Freiheit, die man sich früher immer nur gewünscht hat, die gibt es jetzt wieder. Da müssen wir auch erst mal lernen, dass wir die genießen können. Wir müssen uns nicht mehr so viel kümmern, wir müssen auch kein schlechtes Gewissen haben, wenn wir uns Zeit für uns nehmen. Wir erziehen unsere Kinder ja im besten Fall dazu, dass sie selbstständig werden und uns weniger brauchen.

Was da so schwerfällt, ist vielleicht auch die Angst, (zu viele) Fehler in der Erziehung gemacht zu haben. Denn wenn wir loslassen, dann können wir ja nur aufs Beste hoffen.

Mir hat ein Neurologe neulich gesagt: In 65 % der Fälle geht alles gut. Ich hab da auch erst mal gedacht: Okay, das ist gar nicht mal so viel. Also gut zu wissen, dass es in der Mehrzahl der Fälle gut ausgeht – das ist ja schon beruhigend.

Es ist so, dass man bei denen, wo es schwieriger wird, schon vorher Anzeichen erkennt. Da gibt es schon im Kindesalter Auffälligkeiten. Dass Kinder erst in der Pubertät wirklich abrutschen, dass das Kinder sind, die vorher nie Probleme gemacht haben, die vorher nie auffällig waren – das ist tatsächlich sehr selten.

Wenn man seine Kinder bis zu diesem Punkt gut begleitet hat, dann kann man sie auch gut loslassen. Und ja, natürlich muss man das lernen. Das Paradoxe an unserer Aufgabe als Eltern ist es ja, dass wir überflüssig werden.

Nathalie Klüver im Interview zum Thema Pubertät

Was ich spannend finde, ist genau dieses Loslassen. Wir wissen um all die ersten Male, die wir mit unseren Kindern erleben. Aber nicht um die letzten. Wann halten wir das letzte Mal ihre Hand? Das ist schon auch hart, das zu akzeptieren.

Dieser Prozess ist ja schleichend. Wenn man sich dessen bewusst wird, dann nutzt man die Momente tatsächlich auch mehr – eben weil man weiß: Das ist irgendwann vorbei. Ich gehe z. B. mit meinen beiden großen Jungs mittags essen. Das ist total schön, aber irgendwann werden sie das auch nicht mehr wollen. Dann wollen sie auch nicht mehr mit ihrer Mutter in der Stadt gesehen werden. Weil ich das weiß, kann ich das jetzt sehr genießen.

Man sieht an solchen Veränderungen auch, wie schnell die Zeit vergeht, wie man auch selber dabei älter wird. Wenn ich jetzt sage, dass mein Sohn 14 Jahre alt ist, dann weiß ich: Ich bin vor 14 Jahren zum ersten Mal Mutter geworden, und das ist echt lange her. Da ist die Frage: Wie habe ich mich eigentlich verändert in dieser ganzen Zeit? Wie viel älter bin ich eigentlich geworden?

Diese ganzen Gefühle, die da zusammenkommen, die machen diese Zeit dann schwierig. Auch deshalb finde ich so wichtig, dass man sich auf die positiven Aspekte konzentriert. Sonst steht im Fokus: Ich werde älter, meine Kinder ziehen aus, ich werde nicht mehr gebraucht – was mache ich hier?

Mit solchen Gedanken kann man doch seine Kinder nicht belasten. Die sollen doch nicht denken, dass ihre Mutter irgendwie abhängig von ihnen ist und dass sie sich deswegen nicht entwickeln dürfen.

Lass uns noch kurz bei der Rückschau auf einen selbst bleiben. Denn klar sehen wir an unseren Kindern, dass sie und damit auch wir älter werden. Und während sie aufblühen, fragen wir uns, was wir eigentlich noch vom Leben wollen.

Wenn die Kinder in die Pubertät kommen, dann ist das auch eine Zeit, an die man sich selber auch noch aktiv erinnert. Da kommen so viele Erinnerungen hoch, und man hat das Gefühl, das wäre alles erst gestern gewesen. Plötzlich geht’s um Abitur und Führerschein, und das ist für die eigenen Kinder nur noch ein paar Jahre weg, während man selbst das Gefühl hat, dass das auch erst hinter einem liegt.

An die Kleinkindzeit können wir uns ja auch nicht erinnern. Aber an die eigene Jugend eben schon. Und wenn die Kinder da reinkommen, dann ist das auch ein Abschied von dem Gedanken: Es liegt alles noch vor mir. Denn – je nachdem, wie alt wir sind – die Hälfte unseres Lebens liegt vielleicht schon hinter uns. Es ist ein Kontrast: Die Jugendlichen brechen auf, und wir müssen überlegen, was wir wollen. Das versuche ich im Buch auch zu beschreiben. Denn wir können ja immer noch aufbrechen.

Ich habe zu dem Thema verschiedene Menschen interviewt, u. a. Hanna Drechsler. Sie macht Müttercoaching und hat sich auf Frauen in der Lebensmitte, die sich beruflich umorientieren wollen, spezialisiert. Denn wir können das ja als Chance sehen, zu gucken: Was will ich denn noch Neues machen? Das ist doch jetzt der beste Zeitpunkt. Wenn man noch zehn Jahre wartet, dann ist man ja fast schon in Rente, und dann will einen vielleicht doch keiner mehr. Man hat also jetzt wieder die Chance, sich neu zu orientieren und zu fragen: Was will ich eigentlich?

Sich Dinge für sich selbst vornehmen, sich vielleicht fortzubilden – das kann ja auch total bereichernd sein. Ich glaube, dass es auch dabei hilft, das Loslassen ein bisschen leichter zu ertragen. Denn man muss nicht neidisch auf die Freiheit des Kindes sein, sondern kann auch eigene Freiheiten entdecken.

Für mich war das auch ein Umdenken. Ich habe mich in der ersten Zeit den Kindern immer wieder angeboten, habe gefragt, ob wir zusammen Schach spielen wollen, obwohl die klar signalisiert haben, dass sie ihre Ruhe wollen. Dann habe ich angefangen, das Haus zu putzen. Ich musste lernen, dass ich die Zeit einfach so für mich nutzen kann. Und das kann Arbeiten sein, oder ich beschließe bewusst: Ich mache jetzt eine Stunde Sport. Und das alles, ohne dass ich das aufwendig organisieren muss. Aber auch das ist ein Lernprozess. Wir haben gelernt, rund um die Uhr für unsere Kinder da zu sein, aber wir können das auch wieder verlernen.

Für wen hast du das Buch eigentlich geschrieben?

Es können natürlich Mütter und Väter das Buch lesen, aber ich denke, es wird eher die Frauen ansprechen. Weil all das, was wir hier auch besprechen, eher Gedanken sind, die Mütter kennen. Es richtet sich an Eltern von Kindern in der Pubertät, wobei Pubertät auch schon mit neun Jahren beginnen kann. Das unterschätzt man immer.

Es gibt im Buch auch ein Kapitel zum Thema Wechseljahre. Denn es gibt da plötzlich zwei Abschiede. Man muss sich von der eigenen Jugend und Fruchtbarkeit verabschieden – und vom eigenen Kind. Es kommt ja viel auf einmal in dieser Phase zwischen Ende 40 und Anfang 50. Das sind alles Sachen, die die Zeit auch nicht gerade erleichtern. Im Buch gibt es viele persönliche Anekdoten, Interviews und Tipps zu Fragestellungen wie: Wie erkenne ich meine Bedürfnisse wieder? Denn das haben viele Frauen ja jahrelang unterdrückt.

Natürlich können das Buch auch Väter lesen – ich denke, dass das sogar hilfreich sein kann, weil sie dann verschiedene Sachen besser verstehen.

Ich will Mut machen und Angst nehmen. Denn je früher man anfängt, sich sein eigenes Leben zuzulegen – oder am besten das nie abzulegen –, umso weniger schlimm ist das Abnabeln. Man braucht übrigens kein schlechtes Gewissen haben, wenn man sagt: Ich mach mein eigenes Ding!

Hast du zum Abschluss vielleicht noch ein paar spannende Fakten über die Pubertät, die vielleicht noch nicht ganz so bekannt sind?

Pubertät kann schon mit elf, zwölf Jahren beginnen. Was ich in einem Interview erfahren habe, fand ich auch spannend: 80 % aller Verbindungen zwischen den Gehirnzellen werden, wenn die Kinder so ungefähr elf Jahre alt sind, gekappt. Das merken Eltern vor allem daran, dass die Kinder dann super vergesslich werden. Bei Mädchen kann das auch schon mit zehn der Fall sein.

Die Vorpubertät, wo dieses Loslassen schon beginnt, kann auch schon mit acht oder neun passieren. Man unterschätzt das oft. Und übrigens auch die Kinder. Man kann ihnen viel mehr zutrauen, als man so denkt. Denn sie wollen ja selbstständig werden.

Es ist auch vollkommen normal, dass Kinder in dieser Phase ganz viel vergessen. Es wird auch wieder besser. Wichtig: Schimpfen funktioniert in der Pubertät auch gar nicht mehr. Mir hat ein Psychologe mal gesagt: Positives verstärken, Negatives ignorieren. Das ist auch ein guter Ratgeber für die Pubertät.

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