Robert Stadlober im Interview mit Andrea Zschocher

Robert Stadlober: „Es geht vielleicht auch genau darum, zu erkennen, dass niemand per se gut oder schlecht ist“

Dass ich von der Serie „HUNDERTDREIZEHN“ begeistert bin, dürfte in den letzten Tagen klar geworden sein. Deswegen habe ich mich auch sehr gefreut, dass sich Robert Stadlober, der in der Serie einen Ermittler spielt, die Zeit für ein Interview genommen hat.

Denn mit dem Schauspieler kann man nicht nur wunderbar über seine Arbeit sprechen, sondern auch übers Leben philosophieren. Und wie wir alle wissen, mache ich das einfach wahnsinnig gern. Wir starteten also bei der Frage, was die Serie so besonders macht, und wovon sie eigentlich erzählt und landeten dann bei der Kindererziehung, bei Social Media und der Frage, was uns alle miteinander verbindet. Was ist denn eure Antwort darauf?

Robert, was macht die Zahl 113 mit dir?

Robert Stadlober: Ich hatte zunächst das Gefühl, dass sie sehr hoch ist. Aber wenn man anfängt, darüber nachzudenken, wird sie plausibel. Weil es eben nicht nur um die nächsten Anverwandten geht, sondern um 113 Betroffene. Das kann dann ja auch jemand sein, der zufällig vorbeigeht. Oder die Ersthelfer und deren Angehörige. Wenn man das mitdenkt, ist die Zahl gar nicht mehr so absurd hoch, sondern einleuchtend.

Robert Stadlober im Interview mit Andrea Zschocher
© ARD/WDR/Alessio Maximilian Schroder

Ich mochte sehr, dass die Serie bei mir viele Gedanken ausgelöst hat. Zum Beispiel den, wie gut wir einander eigentlich wirklich kennen …

Tatsächlich würde ich noch einen Schritt weitergehen. Denn die Serie erzählt ja, dass wir uns eigentlich nicht mal selbst kennen. Wie reagiere ich denn wirklich in einer Extremsituation? Das muss ja kein Unfall sein, sondern irgendein anderer Vorfall, bei dem auf einmal mein Lebenskonstrukt, das ich bis dahin als gegeben hingenommen habe, komplett umgekrempelt wird und ins Wanken gerät.

Was passiert, wenn auf einmal rauskommt, dass mein Ehemann eine vollkommen andere, quasi diametrale Familie zu unserer, in einem anderen Land hat? Wie gehe ich damit dann wirklich um?

Wenn wir bei philosophischen Fragen sind, dann ist das für mich das Schönste. Neben der Krimihandlung hat mich an dieser Serie vor allem die Erzählung von menschlichen Schicksalen fasziniert und deren Umgang damit. Wie holt man sich aus diesem Schicksal selbst wieder heraus?

Führt die Gemeinsamkeit vom Unfall dazu, dass man diese Brüche, diese Katastrophen, dieses Dunkle irgendwie überwinden kann? Dreht man es so, dass das Schicksal an sich dann nicht mehr existiert und es stattdessen Entscheidungen sind, die man getroffen hat? Schwierig ist, dass man Entscheidungen immer erst rückblickend bewerten kann.

Gleichzeitig gibt einem die Serie auch eine Demut vor dem Leben. Denn auch wenn es eine Binsenweisheit ist, es stimmt nun mal: Es gibt kein Licht ohne Schatten. Das gestaltet die Serie über die sechs Folgen natürlich sehr viel komplexer aus. Sie zeigt einem die Faszination des Menschseins. Man kann sehen, dass das Schöne auch im Unglück immer da ist. Dass da andere sind, die für einen da sind. Das finde ich ziemlich einzigartig.

Robert Stadlober im Interview mit Andrea Zschocher
© WDR/Windlight Pictures/Satel Film/Frank Dicks

Dass man einander braucht, finde ich eine wichtige Erinnerung. Denn wegen Social Media vergessen wir das vielleicht zu oft. Senden nur noch raus …

Es ist eine krasse Vereinzelung, und es wird von verschiedenen Seiten bewusst eine Angst geschürt. Und wir alle fallen darauf rein. Wir haben beide Kinder, und mir zumindest begegnen oft Eltern, die permanent Angst haben. Überall lauert vermeintlich die nächste Gefahr, man kann niemandem vertrauen …

Diese Serie erzählt auch davon. Aber wir zeigen auch: Wenn es irgendwann mal wirklich schlimm wird, sind Menschen gar nicht alle verrückt und irre und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Es ist stattdessen Teil unserer Spezies, dass wir anderen helfen wollen und uns umeinander scharen. Wir haben viel mehr gemeinsam, als irgendein Computer dir erzählen will.

Das zeigt die Serie auch sehr eindrücklich im Fall „Clara“. Ich will da jetzt nichts spoilern, aber das fand ich sehr intensiv. Bei Social Media muss immer ja alles larger than life sein, da machen sich viele größer, als sie sind. Das macht auch extrem Druck.

Es geht vielleicht auch genau darum, zu erkennen, dass niemand per se gut oder schlecht ist. Das verbindet uns ja auch alle miteinander. Menschen haben alle Anteile in sich. Die einen tendieren eher in die eine oder vielleicht in die andere Richtung. Aber selbst das ist selten eine bewusste Entscheidung. Es hat auch mit den Lebensumständen zu tun.

Diese Komplexität unseres Seins herauszuarbeiten, das kann gute Literatur. Jetzt wissen wir aber auch alle, dass Literatur nicht mehr jede und jeden erreicht. Was aber alle erreicht, ist dieses Flimmerkästchen. Und das ist für mich eine unglaubliche Chance. Mit dem, was ich beruflich mache, kann ich Menschen, egal ob klein oder groß, dazu kriegen, sich Gedanken darüber zu machen, dass außerhalb ihres Fernsehers ganz viele andere Menschen genauso sind wie sie. Die können manchmal total nerven, die können auch mal scheiße sein, aber oft sind sie genau wie man selbst. Und man projiziert nur was in sie hinein.

Und bevor dann so eine Katastrophe passiert wie in unserer Serie, wäre es doch schön, vorher schon zu merken, dass man zueinander gehört.

Robert Stadlober im Interview mit Andrea Zschocher
© WDR/Windlight Pictures/Satel Film/Frank Dicks

Kein Mensch ist eine Insel, und wir brauchen uns gegenseitig. Das versucht man hoffentlich auch, den Kindern klarzumachen. Und trotzdem ist ja niemand fehlerfrei.

Man ist auch Sklave seiner Muster, da kommt man auch nicht so leicht raus. Das kann sehr anstrengend sein. Was ich mir bei meinen Kindern vornehme, ist, dass sie nur begründete Ängste haben sollen. Es hilft doch nichts, wenn ich an jeder Kreuzung sage, wie gefährlich das jetzt hier alles ist. Kinder sind ja nicht bescheuert, die verstehen das von allein.

Ich möchte ihnen mitgeben, wie sie sich in der Welt bewegen können, denn natürlich ahmen sie erst mal nach, was sie sehen. Sie wissen, dass sie nicht zu fremden Leuten ins Auto einsteigen, dass sie bei Rot stehen bleiben. Das haben sie ja alles in den letzten Jahren gesehen. Ab einem gewissen Punkt muss ich ihnen dann aber vertrauen und ihnen das selbst überlassen.

Kinder sind eigene Menschen, sie gehören mir nicht. Das mag sich jetzt brutal anhören, aber ich finde: Wenn sie ab einem bestimmten Zeitpunkt entscheiden, etwas zu tun, das ich ihnen anders vorgelebt habe, dann müssen sie auch die Konsequenzen tragen. Ich bin natürlich immer noch führend und korrigierend dabei, aber Kinder sind souverän.

Ich glaube, dass wir das beide so sehen, liegt daran, dass wir Kinder nicht als Verlängerung unserer Selbst verstehen. Sie sind, wie du gesagt hast, eigenständige Menschen.

Gerade Kinderzeit ist zum Chillen da. Ich krieg ’nen Föhn, wenn ich höre, was andere Kinder so für Kurse machen. Meine Kinder sind doch den ganzen Tag in der Schule, sollen die nicht nachmittags chillen?

Wenn ich dann manchmal höre, was da für eine Konkurrenz herrscht, dieses Höher-schneller-weiter-Motto, das ist gar nicht meins. Ich will meine Kinder solch einem Quatsch gar nicht aussetzen. Das ist leider so tief in die Lebensrealitäten der Menschen eingedrungen, dass sie gar nicht mehr merken, dass sie permanent im Wettrennen sind. Die glauben, das muss so sein.

In meiner Jugend in den 90ern war das ziemlich normal. Meine großen Idole haben vor allem dadurch geglänzt, dass sie keinen Bock hatten, das mitzumachen. Es ging aber nicht darum, zu zeigen, dass sie irgendwas besser konnten. Es war der Verweis, dass man keine Lust auf diesen 80er-Jahre-Yuppie-Scheiß hatte. Denen war im Park liegen und chillen wichtiger. Genau das gebe ich jetzt an meine Kinder weiter. Legt euch in den Park und chillt. Ihr habt noch genug Zeit für Stress in eurem Leben!

Wie hältst du es denn mit Social Media für deine Kinder?

Social Media hat möglicherweise Potenziale. Ich habe viele tolle Dinge dort erlebt und bin Leuten begegnet, die ich ohne Social Media nicht gefunden hätte. Aber das ist doch nichts für Kinder! Unter 18-Jährige sollten da gar nicht sein. Was ist daran so schwer zu diskutieren?

Ich verstehe das Nutzungsverhalten von anderen Menschen da auch nicht immer. Da machen Leute Fotos von ihren Kindern oder erstellen Instagram-Accounts für sie. Ich habe neulich von einem Insta-Sommercamp für 8- bis 12-Jährige gehört, das sich mit Fragen wie „Wie mache ich meinen ersten Insta-Account? Wie werde ich erfolgreich in Social Media?“ beschäftigt hat. Da frage ich mich wirklich, was das soll.

Die Erwachsenen müssen halt bei sich anfangen. Wenn man selbst ständig aufs Handy schaut, dann ist es für die Kinder natürlich normal. Sollte es aber nicht sein. Wir haben früher auch gedacht, dass es normal ist, im Auto zu rauchen. Jetzt wissen wir es besser. Das sollte auch für Social Media gelten.

„HUNDERTDREIZEHN“ könnt ihr ab sofort auch in der ARD Mediathek anschauen.


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert