Ich habs nicht so mit Mystik, das ist einfach nicht meine Baustelle. Deswegen war ich im ersten Moment, weil ich den Schwarzwaldkrimi noch nicht kannte, ein bisschen überfordert. Und dann hat mich die Story, über die ich gar nicht viel verraten will, doch ziemlich abgeholt. Vielleicht war das Interview mit Max von Thun deswegen so harmonisch, weil ich mich eher bei seiner Rolle Konrad verordne, als bei Jessica Schwarz Maris´.
Wir haben auch über Traditionen und Werte gesprochen, etwas, dass man je nach Bundesland vielleicht mehr oder weniger bewusst lebt (und ja, auch genau das ist ein Thema im Interview). Vom Schwarzwald gehts über München hinaus in die Welt, macht euch also bereit für ein Interview, dass euch hoffentlich ein bisschen in die Heimat und in die Ferne mitnimmt.
Max, im neuen Schwarzwaldkrimi geht es auch um die Zeitumstellung. Ist dir schon mal etwas Denkwürdiges während der Zeitumstellung passiert?
Max von Thun: Ich verstehe ehrlich gesagt gar nicht, warum wir die Zeitumstellung überhaupt noch haben. Mir geht die ganz schön auf die Nerven. Die meisten Menschen plagen sich doch damit herum, dass sie eine Stunde weniger schlafen können. Der Körper ist auch verwirrt, der Geist auch. Ist es jetzt eine Stunde mehr Schlaf oder wird da eine Stunde einfach übersprungen? Ich leide da wie jeder andere auch unter diesen normalen Umständen, die die Zeitumstellung mit sich bringt.
Ich fand diesen Ansatz, dass man sich mal fragt: Was ist denn eigentlich mit dieser Stunde ganz spannend. Was passiert während der Zeitumstellung und was ist das für eine Zeit? Wie nennt man die? Im Film heißt sie Zwischenzeit, weil sie etwas ist, das eigentlich gar nicht existiert, aber trotzdem da ist. Denn auch wenn die Uhr von eins auf drei umspringt, muss die Stunde ja eigentlich noch irgendwo sein.
Ich finde, bei allen logischen Erklärungen ist Zeitumstellung irgendwie nicht greifbar.
Ich weiß auch nicht, ob das noch so zeitgemäß ist. Es wird ja immer wieder mal diskutiert, ob man das nicht abschafft. Es ging ja ursprünglich darum, dass man die Tage im Winter besser nutzen kann, indem man früher anfängt zu arbeiten. Aber die Anzahl der Menschen, die davon profitieren, ist heute ja wahrscheinlich überschaubar.

Im Film spielen die Jenischen eine wichtige Rolle. Ich musste dazu erstmal recherchieren, weil ich vorher noch nie von ihnen gehört habe. Was wusstest du von ihnen?
Gar nichts. Aber so geht es mir eigentlich bei jedem Schwarzwaldkrimi. Da lerne ich Sachen, die ich nicht wusste. Nicht nur über die Region, sondern auch über Mythologie und lokale Bräuche.
Ich finde aber auch, dass man das Nichtwissen ganz offen zugeben kann. Es ist doch erstaunlich, etwas neu zu entdecken und festzustellen, welche lange Historie die Jenischen haben. Erschreckend ist, wie feindselig sie behandelt wurden, dass sie so viel Ablehnung erfahren haben.
Das ist ähnlich wie bei den Sinti und Roma und anderen wandernden Völkern. Die konnten nie Wurzeln schlagen, weil sie immer vertrieben wurden. Ihnen wurde gesagt, dass sie nicht gewollt waren. Man hat den Jenischen ihre Kinder weggenommen, weil man dachte, dass man die dann umprogrammieren kann. Alles, was die Eltern ihnen bis dahin mitgegeben hatten, sollte dann nicht mehr stattfinden und sie nach den Vorstellungen und Werten der anderen leben.
Es ist schon erstaunlich, zu was Menschen fähig sind, und das galt damals wie leider auch heute. Wenn man in die Nachrichten schaut, dann geht es am Ende des Tages immer mehr um wirtschaftliches Wachstum als um Menschlichkeit. Viele einflussreiche Menschen scheinen nicht in der Lage zu sein, aus der Geschichte zu lernen.

Hast du eine Verbindung zur Mystik? Brauchst du viel Vorstellungskraft bei den Drehs? Denn wenn wir den Film sehen, sind da ja Effekte und Schnitte, die du dir alle vorstellen musst.
Ich bin kein abergläubischer Mensch, falls du das meinst. Ich bekomme keine Panikattacke, wenn eine schwarze Katze vor mir über die Straße läuft oder so. Ich finde das ehrlich gesagt ganz unterhaltsam.
In dieser Gegend, in der wir drehen, und vielleicht auch in vielen ländlichen Gegenden damals, als es noch keine blöden Handys oder Fernseher oder Radios gab, saß man halt in der Stube irgendwie zusammen. Im Kamin hat ein Feuer gebrannt und man hat sich Geschichten erzählt. Weil man es damals vielleicht nicht besser wusste und keinen Zugriff zu Büchern oder Bildung hatte, hat man sich Sachen zusammengereimt. Der Sohn hat gesagt, er hat einen Geist gesehen, und man hat dann beschlossen, eine Schale Milch vor die Tür zu stellen, weil der dann vielleicht besser gelaunt ist. Was auch immer dann geholfen hat. Auf diese Weise entstehen Bräuche, die bei uns allen noch vorkommen.
Im Schwarzwaldkrimi ist es die Schere, die mit der offenen Klinge nach außen vor die Tür gelegt wird, damit sie das Böse abhält. Das ist doch super. Rein pragmatisch gesehen ist da schon die Frage, ob sich der Postbote beim Ausliefern der Pakete nicht an der blöden Schere verletzen kann. Aber insgesamt finde ich das toll, dass ich diese Bräuche durch die Drehbücher kennenlernen kann.
Unser Ermittlerduo passt auch super dazu. Maris, die Ermittlerin, die Jessica Schwarz spielt, ist so ein Brauchmensch. Die kommt aus der Gegend, die ist verbunden mit der Natur, hat einen Bezug dazu. Meine Rolle Konrad ist eher sachlich, sagt Dinge wie: „Wir können nicht davon ausgehen, dass ein Erdgeist sie umgebracht hat, das muss schon jemand mit einer Pistole gewesen sein.“ Ich brauche dieses Mystische also gar nicht.
Es hat sich ja auch eingebürgert, dass Konrad, wenn mal wieder jemand eine komische Anekdote aus dem Schwarzwald raushaut, die Augen rollt. Das kann ich für mich nutzen, und ich finde das alles ganz unterhaltsam und gleichzeitig auch lehrreich.
Einen wichtigen Aspekt, den du schon angesprochen hast, ist die Menschlichkeit. Dein Konrad macht die Arme auf und hilft einem Kollegen, dem er freundschaftlich vielleicht gar nicht so verbunden ist. Wie siehst du das? Kennt Hilfe Grenzen?
Man muss schon immer schauen, zu welchen Bedingungen und wem man hilft. Aber grundsätzlich sollte man immer helfen, ja. Vor allem dann, wenn man das Privileg und Glück hat, ein schönes Leben zu haben. Man muss ja, wenn das nicht passt, keinen Flüchtling aufnehmen. Aber man kann sich engagieren. Ich tue das gern, ich mache viele Sachen und versuche so, meinen kleinen Beitrag zu leisten. Da geht sicher mehr, aber wenn jeder ein bisschen was beiträgt, ist das schon viel.
Ehrlich gesagt helfe ich auch aus egoistischen Gründen. Ich finde es schön, wenn man Menschen eine Freude macht, wenn man jemandem hilft oder unterstützt. Wenn man das bei einer kleineren Organisation oder einem kleinen Hilfsprojekt macht, dann kann man auch direkt sehen, dass da was konkret passiert.
Natürlich haben auch große Hilfsorganisationen ihre Berechtigung, und manchmal haben die auch ganz andere Möglichkeiten und Kraft, Dinge zu organisieren und zu stemmen. Aber wenn ich z.B. ein Foto bekomme, dass von dem gespendeten Geld ein Brunnen gekauft wurde, dann ist das auf einmal sehr real. Dann versteht man, dass plötzlich ein Dorf mit Wasser versorgt werden kann und sich das Leben dort ändern wird.
Ich verstehe auf jeden Fall, was du meinst. Ich denke sofort an Momente, in denen ich geholfen habe und was das mit mir gemacht hat.
Meine Mutter war Gründungsmitglied der Münchner Tafel. Durch sie habe ich schon ganz früh mitbekommen, was Helfen bedeutet. Das war ganz selbstverständlich. Mir ist auch wichtig, dass mein Sohn das übernimmt. Er setzt sich für andere ein, sagt was, wenn jemand ungerecht behandelt wird.
Es ist vielleicht auch wichtig zu verstehen, dass man nicht immer gleich die Welt retten muss. Wichtig ist, sein eigenes Umfeld zu beeinflussen. Man kann Sachen im Kleinen verändern. Direkt auf das große Ganze zu gehen, kann viel schwieriger sein.
Was macht für dich eine gute Familienkonstellation aus?
Fragst du, weil du als Berlinerin von uns Bayern erwartest, dass wir als treue CSU-Wähler natürlich das christliche Familienbild pflegen? [Er lacht]
Ein gutes Familienbild macht für mich vor allem der liebe- und verständnisvolle, offene Umgang miteinander aus. Es braucht eine herzliche Art miteinander. In welcher Konstellation das stattfindet, das finde ich total egal.
Viele in meinem Umfeld leben mittlerweile in Patchwork-Konstellationen. Irgendwer bringt ein Kind mit in die Beziehung und das kann super funktionieren. Alles hat ja seine Vor- und auch Nachteile. Am Ende muss da jeder seinen individuellen Bedürfnissen folgen und herausfinden, was für ihn und die Familie am besten funktioniert.
Ich habe wirklich noch nie das Bedürfnis gehabt, Leuten zu sagen: „Hey, also ganz ehrlich, SO müsst ihr leben!“ Jeder Mensch soll machen, was er will. Jeder Mensch soll lieben, wen er will. Theoretisch darf auch jeder Mensch sagen, was er will. Man muss halt damit rechnen, dass Widerspruch kommt oder dass jemand nicht der gleichen Meinung ist. Das muss man auch aushalten können. Ich finde, dieser Punkt, das aushalten können, ist in unserer Gesellschaft verloren gegangen. Vielleicht liegt das an diesem dämlichen Social Media und der Anonymität.
Mein Familienbild sind gute Werte. Gute Menschen vermitteln gute Werte, und daraus entstehen gute Kinder. Und gute Kinder braucht diese Welt, die echt immer verkorkster wird.

Ist Identität ein wichtiges Thema für dich? Ich bin ein bisschen abgelenkt, weil die Möbel in deinem Zimmer mich so an die österreichische Flagge erinnern.
Ich bin zur Hälfte Österreicher, habe auch einen österreichischen Pass. Aber Nationalitäten haben für mich keine große Bedeutung. Ich bin in England zur Schule gegangen, da waren 46 Nationen vertreten. Dort habe ich gemerkt, dass es ganz viele unterschiedliche Menschen da draußen gibt. Nach der Schule bin ich mit einem VW-Bus durch Europa gefahren. Wenn mich jemand gefragt hat, wo ich herkomme, habe ich immer gesagt: Estoy del Mundo. Ich bin von dieser Welt.
Ist Reisen und Offenheit gegenüber anderen Kulturen ein wichtiger Wert für dich? Ich stelle auf Reisen nämlich immer wieder fest, wie wichtig es ist, die eigene Blase zu verlassen und die Erfahrung zu machen, dass sich die Welt nicht um einen selbst dreht.
Dem stimme ich zu, wobei ich finde, dass sich das Reisen leider ziemlich verändert hat. Ich bin mal vier Monate mit dem Rucksack durch Indien gereist, war an wirklich vielen Orten und auch viel alleine unterwegs. Ich fand das toll, weil man immer irgendwo Anschluss gefunden hat. „Wo kommst du her, wo willst du hin, warst du schon da? Oh, da will ich mitkommen, ist das ok für dich?“ – so lief das früher.
Seitdem es in jedem verflixten Winkel dieses Planeten WLAN gibt und Leute mit ihren Scheißhandys da sitzen, geht es mehr um den schönen Schein. Da sitzen alle am Arsch der Welt in irgendeinem hippen Café, wo es irgendwelche Acai-Quatsch oder Avocado-Brote gibt, und schauen sich irgendwelche Stories an. Man isst immer weniger lokales Essen und wenn, dann nur für den Content. Alle überlegen, was ihre Freunde gerade tun oder was sie selbst posten können, um zu sagen: „Schaut mal her, #superleben“.
Und ich kann mich da nicht mal von ausnehmen. Ich bin in Indonesien mit Freunden Motorrad gefahren, und da hat sich auch einer vorne das Handy drangeklemmt, und wir haben uns mit dem Navi von A nach B bewegt, durch Gegenden, in denen wir noch nie waren.
Wir sind ohne Umweg am Ziel angekommen. Früher hätte man sich natürlich tausend Mal verfahren, hätte geflucht, weil man die Karte verloren hat, und irgendwen am Straßenrand gefragt, wo es langgeht. Der hätte einen irgendwo hingeschickt, man hätte sich verfahren und dafür Menschen getroffen, die einen vielleicht zum Essen eingeladen hätten. Heute gibt es keine Umwege mehr, auf denen man etwas erlebt. Da kommt man einfach nur noch an.
„Vogelfrei – Ein Schwarzwaldkrimi“ läuft in zwei Teilen am 06.10.2025 ab 20:15 Uhr im ZDF. Der Film ist ab sofort auch in Web und App des ZDF abrufbar.
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