Wie handhabt ihr das eigentlich mit den digitalen Medien in eurer Familie? Kennt ihr eure eigene Screentime und habt ihr das Gefühl, auch mal ein paar Tage ohne Smartphone zurecht zu kommen? Wie geht das eigentlich, Kinder heutzutage beim Reinwachsen in die digitalen Medien zu begleiten? Und wieso glauben wir, dass mal kurz auf dem Smartphone rumdaddeln und wirklich eine Pause vom Alltag verschafft?
Alles legitime Fragen, die ich an den Psychologen Lukas Klaschinski gerichtet habe. Er hat sie sehr geduldig, praxisnah und authentisch beantwortet, denn wir alle wissen: Nobdy is perfect. Ein Bewusstsein fürs eigene Medienverhalten zu haben, ist der erste Schritt. Und von da aus könnt ihr ja dann weitergehen. Und, good news, Lukas, selbst Vater, weiß aus eigener Erfahrung wie herausfordernd der Alltag mit Kindern oftmals ist. Lasst euch aufs Interview ein und schreibt mir gern, was euch in Bezug auf Kinder und digitale Medien gerade am meisten umtreibt.
Lukas, welche Rolle spielen digitale Medien heute beim Aufwachsen und welche Auswirkung haben sie auf die psychische Entwicklung von Kindern heutzutage?
Lukas Klaschinski: Die Mediennutzung nimmt jedes Jahr zu. Wenn wir auf die unter Fünfjährigen gucken, da hat jedes fünfte Kind schon Zugang zu einem Tablet. Im Vergleich zu 2020 ist das ein Zuwachs von mehr als 50 %. In dem Alter hat bereits jedes zehnte Kind ein Handy. Im Durchschnitt nutzen die unter Fünfjährigen digitale Medien, da reden wir über Bewegtbild-Möglichkeiten, über eine Stunde jeden Tag!
Das ist krass, vor allem, wenn wir uns vor Augen halten, was das Beste für die kindliche Entwicklung ist. Das sind gesunde zwischenmenschliche Beziehungen, sowohl in qualitativer als auch quantitativer Form. Was Kinder dadurch entwickeln können? Einen gesunden Umgang mit Gefühlen, einen Umgang mit herausfordernden Situationen. Wir können unsere soziale Intelligenz, unser Zugehörigkeitsgefühl entwickeln, wenn wir miteinander agieren. Je kleiner das Gehirn ist bzw. je früher in der Entwicklungsphase man mit digitalen Medien startet, desto vulnerabler sind Kinder.
Das heißt, je früher wir anfangen, digitale Medien zu nutzen, desto schädlicher kann es für unsere Kinder sein. Beispielsweise kann die Sprachentwicklung nicht so stattfinden, wie es nötig ist. Kinder lernen viel, viel besser in der Interaktion. Das merkt man ja auch für sich selbst als Erwachsener. Wo lerne ich eine Sprache am schnellsten und am besten? Wenn ich in ein anderes Land reise und mit den Menschen spreche.
Wir haben verschiedene Entwicklungsstufen, und je früher Kinder mit übermäßiger Bildschirmnutzung in Berührung kommen, desto schwerer wiegen die Aufmerksamkeitsprobleme. Es gibt soziale Kompetenzen, die sich dann nicht weiterentwickeln können. Am Ende legt man die neuronale Grundlage für Suchtverhalten. Wenn ich sehr früh Medien konsumiere, mein Dopaminsystem daran gewöhne, kann ich davon süchtig werden.
Es gibt mittlerweile ziemlich eindeutige Studien dazu, dass die Gefahr, an Depression oder einer Angststörung zu erkranken, weil ich sehr frühzeitig intensiv Medien genutzt habe, um ein Vielfaches steigt. Das sind alles Sachen, die dafür sprechen, unsere Kinder von digitalen Medien mehr zu schützen.

Aber wenn man diese Statistiken kennt, wieso kommen Kinder dann trotzdem so früh mit Medien in Kontakt? Wieso geben Eltern ihren Kindern dann Tablet oder Smartphone?
Da gibt es ganz viele Gründe. Zum einen gibt es kein echtes Bewusstsein über das eigene Mediennutzungsverhalten. Wenn ich selber mein Handy viel nutze, meine Bildschirmzeit bei über zweieinhalb Stunden liegt, dann ist klar, dass ich das nicht als Gefahr für mein Kind ansehe. Ich merke ja an mir, dass das alles easy ist.
Zum Zweiten können wir Langeweile heute viel schlechter ertragen als noch vor 10 oder 25 Jahren. Das ist inzwischen sofort ein ganz unangenehmes Gefühl. Gleichzeitig gibt es Studien dazu, dass Menschen heute viel schlechter mit unangenehmen Momenten umgehen können. In Situationen, die unangenehme Gefühle hervorrufen könnten, ist das Handy immer ein Puffer.
Ein weiterer Punkt ist die soziale Zugehörigkeit. Keiner möchte, dass sein eigenes Kind ausgeschlossen wird. Wenn ich weiß, alle anderen Kinder sind in dieser einen digitalen Gruppe drin, dann möchte ich, dass mein Kind da auch dabei sein kann.
Es gibt auch die Illusion der Sicherheit, die wir ganz häufig vorschieben. Ich kann mein Kind tracken, wenn es ein Handy hat. Da kann ich zwischenzeitlich mal anrufen. Das kann in Teilen auch ein Grund sein. Das gab’s ja früher nicht.
Was sich dann häufig nicht entwickeln kann? Verantwortung und Selbstwirksamkeitsempfinden des Kindes. Es lernt nicht: Ich habe noch 3–4 Stunden Zeit nach der Schule, bevor ich zu Hause sein muss, und in der Zeit bin ich nicht rechenschaftspflichtig und auch nicht erreichbar. Das kann ein wahnsinniges Abenteuer sein.
Generell können wir sagen: Kinder werden heutzutage digital unterbehütet und in der realen Welt überbehütet.
Um mal bei dem vermeintlichen Sicherheitsgedanken zu bleiben: Das ist doch aber nur eine gefühlte Sicherheit. Wenn ich mein Kind tracke, dann weiß ich vielleicht, wo es ist. Aber was da passiert, weiß ich doch trotzdem nicht.
Ja, natürlich. Aber es geht immer um Gefühltes. Was ist denn letzten Endes Sicherheit? Was verbinden wir damit? Ein Gefühl!
Wenn wir mal auf die Medienlandschaft gucken, dann sind wir ganz häufig in Kontakt mit den Tragödien, die sich in dieser Welt abspielen. Weil unser Gehirn viel mehr auf das Negative anspringt, auf das, wovor ich mich schützen will. Das ist ein evolutionäres Erbe, denn wenn wir in unserer evolutionären Vergangenheit etwas Negatives verpasst haben, dann waren wir tot. Unser Gehirn ist darauf geeicht. Und Medien und Nachrichten funktionieren immer noch so. Es passieren auch viele positive Sachen, aber davon sehen wir in den Nachrichten nichts. Wir sind stattdessen ganz viel im Kontakt mit dem Unglück, das in der Welt passiert.
Und wenn ich davon zu viel konsumiere, z. B. auch True Crime exzessiv konsumiere, dann bekomme ich ein verändertes Bild von der Umwelt, die mich umgibt. Dann glaube ich, dass überall Gefahren lauern. Und dann brauche ich natürlich irgendwelche Sicherheits- und Kontrollmechanismen, wenn ich mein Vertrauen in die Welt verliere. Eine Illusion der Kontrolle ist natürlich mein Handy. Was ich dabei in Kauf nehme, sind die ganzen digitalen Gefahren, die auf mich warten. Denn wenn ein zwölfjähriges Kind in einer wichtigen Entwicklungsphase die sozialen Medien nutzt, dann warten da einfach auch höllische Gefahren.
Hast du das Gefühl, dass Eltern sich mit den Gefahren selbst zu wenig auskennen oder sich sagen: Ich habe es ja auch irgendwie gelernt, mein Kind wird es schon auch lernen?
Ich glaube, dass manche sich tatsächlich der neuronalen Strukturen, die sich einrichten können, wenn ich übermäßig digital unterwegs bin, nicht bewusst sind. Und dann ist es vielleicht auch eine Überforderung im Alltag. Wie viele Mikroprozesse haben Eltern heutzutage zu regeln? Wie viel wollen wir unseren Kindern bieten? Vor wie vielen Sachen wollen wir sie fernhalten?
Die Qualität und der Anspruch an Kinderbegleitung hat sich über die letzten Jahrzehnte verändert. Heute schaffen viele Eltern ein Umfeld, bei dem sich die Tage häufig nach den Kindern ausrichten. Bei mir war das anders. Wenn mein Vater ein Hobby hatte, dann war es cool, wenn ich das auch ausprobieren durfte. Heute ist die Überlegung: Was hat mein Kind für ein Hobby, und wie können wir das unterstützen, damit das Kind dieses Hobby leben kann? In manchen Teilen ist das sehr, sehr anspruchsvoll geworden.
Da kann ein Handy auch wie eine kleine digitale Auszeit, eine digitale Pause, sein. Da kann ich mich mal kurz ausruhen und durchatmen. Ich würde eher empfehlen, nicht ganz so anspruchsvoll in der Freizeitgestaltung zu sein und stattdessen mehr Freiflächen zu schaffen, wo man einfach abhängt und nichts macht. Dann kann sich auch einspuren, dass das Kind weiß: Mama und Papa verbringen gerne Zeit mit mir, wenn nichts passiert. Sie tun das nur meinetwegen, und es muss nicht immer etwas passieren.
Dann brauche ich vielleicht auch weniger die digitalen Erholungsphasen, die de facto ja keine digitalen Erholungsphasen sind. Sich digital zu erholen ist so ein bisschen wie bei einem Fastfood-Restaurant zu essen, wenn man Hunger hat.
An der Stelle muss ich dann leider sagen: Erwischt. Das kenne ich auf jeden Fall auch, dass ich, um einfach mal kurz nicht ansprechbar zu wirken, am Handy bin.
Da darf man dann aber auch nicht so hart mit sich sein. Der erste Schritt wäre, anzuerkennen, was für kognitiv-emotionale Ansprüche wir an unsere Kinderbegleitung haben. Was das für ein krasser Job ist, den wir da machen.
Kinder zu begleiten ist tausendmal anstrengender, als einem regulären Job nachzugehen. Das machen sich viele gar nicht bewusst. Ich war schon den ganzen Tag auf der Arbeit, und dann kümmere ich mich noch um die Kinder. Das ist so verdammt anstrengend. Wir bleiben da als Eltern ganz häufig auf der Strecke. Sich dann einfach mal kurz wegzubeamen, ist super natürlich. Man sollte nur ein Bewusstsein dafür haben, dass man das macht.
Was ist denn dein Tipp für den Medienkonsum bei Kindern?
Je begleiteter und je mehr die Inhalte zum Reflektieren anregen, desto besser. Es gibt ja durchaus ganz gut gestaltete Medienprodukte. Die Öffentlich-Rechtlichen sind da für mich Vorreiter.
Ich finde Checker Tobi, Checkerin Marina und die ganze Checker-Welt empfehlenswert. Die machen zum Teil sehr gute Inhalte. Woran man das merkt? Wenn das Kind nach dem Gucken nicht wie betäubt dasitzt, als wäre das Gehirn lahmgelegt. Denn dann findet eine digitale Überforderung statt.
Wenn sich Kinder nach dem Gucken noch angeregt darüber unterhalten wollen, was gerade stattgefunden hat, ist das ein gutes Zeichen. Man spricht dann über die Welt, und die Kinder kriegen ein tieferes und höheres Verständnis über uns als Menschen und über die Umwelt, die uns umgibt.
Jetzt hast du die unter Fünfjährigen angesprochen, die gern auch schon im Kinderwagen oder im Restaurant wie hypnotisiert aufs Tablet oder Handy starren. Was gucken die denn eigentlich? Was Anregendes ja vermutlich nicht.
Sie schauen vermutlich das, was der Algorithmus vorschlägt. Und das ist das Schlimmste, was passieren kann. Ich würde anzweifeln, dass wirklich darauf geachtet wird, was sie in diesem Alter schon konsumieren. Da gibt es meistens wenig Bewusstsein bei den Eltern. Und das ist gefährlich.
Ich habe neulich in einem Restaurant auch mal beobachtet, wie ein fünfjähriges Kind so ganz gekrümmt über einem Tablet hing. Das fühlte sich wie Ruhigstellen an. Das Kind saß mit dem Rücken zum Raum, ganz allein. Und das ist es ja, was digitale Medien häufig tun: Sie isolieren. Dabei sind wir soziale Wesen. Das Bedürfnis nach Kontakt ist tief in uns Menschen angelegt. Die Illusion ist, dass wir diesen Kontakt in den digitalen Medien bekommen. Aber das stimmt eben nicht.
Mehr von Lukas Klaschinski findet ihr u.a. auf seinem Instagram-Account. Er hat auch zahlreiche Bücher, u.a. „Fühl dich ganz„* geschrieben, hostet mit Stefanie Stahl den Podcast „So bin ich eben“ sowie weitere Podcasts mit seiner Produktionsfirma. Vereinzelt könnt ihr ihn auch im TV sehen, fürs ZDF hat er gerade eine Doku über Wut gemacht. Und ach, auf Tour ist Lukas auch noch. Für ein paar Termine gibt es noch Karten und vielleicht könnt ihr ihn da ja fragen, wie er das eigentlich alles hinbekommt.

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