Ich bin ein großer Fan von Zufällen. Sie machen das Leben einfach viel spannender. Obwohl dieses Interview mit Linus Liyas vielleicht weniger einem Zufall zu verdanken ist, sondern eher der Tatsache, dass ich ihn einfach so lange bequatscht habe, bis er einem Gespräch zugestimmt hat. Denn seinen Film „Sprengstoff“, den ihr nach wie vor mit euren Kindern in der ZDF Mediathek gucken könnt, fand ich richtig super.
Mit Nina Petri, die im Film eine Bombenentschärferin spielt, habe ich ein sehr schönes Interview gehabt. Und so haben Linus und ich uns auf Instagram (schaut euch auf jeden Fall sein Profil an!) gefunden und ich hab dann die Idee in den Raum geworfen, dass wir zwei doch auch miteinander sprechen könnten. Und zum Glück hat Linus irgendwann zugesagt. Wer könnte denn besser geeignet sein, um über Kinder- und Jugendmedien zu sprechen, als jemand, der das so sehr lebt und liebt wie Linus?
Noch dazu hat er eine wirklich spannende Vita. Bevor er Regisseur und Drehbuchautor wurde, hat er schon einiges erlebt. Der Grund, warum ich Linus Liyas nicht ausführlicher vorstelle? Weil er das selbst viel besser kann:
Linus, du hast, wie ich finde, eine super spannende Biografie. Kannst du ein bisschen was dazu erzählen, wie dein Werdegang war, bis er dich jetzt zu Regie & Drehbuch geführt hat?
Linus Liyas: Ich habe vor gut vier Jahren beschlossen, meinen Lebenstraum doch noch zu verfolgen und Kinderfilme zu machen. Ich bin mit Anfang 20 Papa geworden, und Vatersein hat in der Branche für mich nicht funktioniert. Ich habe also erst mal selbstständig als Videojournalist gearbeitet, mich um mein Kind gekümmert und nebenbei angefangen zu studieren.
Während Corona sind dann Aufträge weggebrochen, und ich dachte: Jetzt versuchst du es nochmal! Denn wenn ich zum dritten Mal wegen Schicksalsschlägen bei Null anfangen muss, dann kann ich doch das machen, was ich schon immer machen wollte. Ich hatte ja schon Imagefilme und Dokumentationen gemacht, aber es war auch klar, dass ich damit in Berlin nicht um die Ecke kommen muss. Ich brauchte etwas Fiktives und habe dann meinen ersten Kurzfilm, „Sniperman“, gedreht. Das ging, weil ich Fördermittel von der MOIN Filmförderung bekommen habe. Ich bin da wirklich ins eiskalte Wasser gesprungen, ganz ohne Connections.
Ich bin daraufhin auch nur nach Berlin gegangen, weil viele, die in dem Film mitspielen, aus Berlin kommen und meinten du gehörst dahin. Meine Idee, in einer Stadt Fuß zu fassen, in der tausende Filmschaffende sind, liegt meinem grundlegenden naiven Optimismus zugrunde. Ich mache immer einfach und hoffe, dass es was wird. [Er lacht]
Mein Kurzfilm kam erst mal gar nicht gut an, er wurde von Bewertungsstellen abgewatscht, und ich dachte: „Ich mache nie wieder einen Film, ich habe gar keine Ahnung, was ich hier eigentlich mache.“ Aber zum Glück gibt es ja Festivals, wo Kinder mitreden dürfen und „Sniperman“ wurde dann beim „Goldenen Spatz“ angenommen.
Parallel dazu habe ich mich für ein Stipendium an der Akademie für Kindermedien beworben und wurde genommen. [Fast forward] Und positives Schicksal: Mein finaler Pitch für die Akademie war dann auch beim Goldenen Spatz. Ich habe also vor rund 200 Produzent*innen und Filmschaffenden im Erfurter Kaisersaal mein Projekt 4KIDZ und mich als Autor und Regisseur gepitcht und war extrem nervös. Ich kann mich gar nicht mehr richtig daran erinnern. Aber es ist wohl ziemlich gut gelaufen. Einen Tag später habe ich dann auch noch den Goldenen Spatz 2022 mit SNIPERMAN gewonnen.
Da hatte ich plötzlich dutzende Visitenkarten in der Hand und kurzdarauf auch eine Agentur. Ich habe erst mal alles mitgenommen, was mir angeboten wurde, habe viele Projekte parallel entwickelt. Für mich war das ein gutes Selbststudium, ich habe gelernt, wie ich Serienkonzepte, Treatments und Drehbücher schreibe, wie ein Writers Room funktioniert und wie Projektentwicklungen, Filmförderungen und Senderzusammenarbeit ablaufen.
Herzlichen Glückwunsch! Dein Film „Sprengstoff“ ist im KIKA und in der ZDF-Mediathek zu sehen!
Das war aber nicht so einfach. Denn den Stoff gab es bereits, ich wurde als Regisseur von der Produktion Leitwolf ins Boot geholt und musste dann erst mal die Redaktion überzeugen. Dafür musste ich eine Art Regie-Casting machen, habe mich vorgestellt und erklärt, warum ich für den Stoff brenne. Sie wussten, dass ich mehrere Jahre hauptamtlich in der Geflüchtetenhilfe beim Deutschen Roten Kreuz, bei der Caritas und beim Jugendamt war. Der Background hat auf jeden Fall geholfen. Trotzdem waren nicht alle überzeugt, ob ich auch die ernsten Töne treffen kann.
Man muss sich auch vor Augen halten, dass das ein großes Risiko ist, so einen Film zu drehen – mit jemandem, den man gar nicht kennt. So ein Dreh braucht extrem viel Vorbereitung, ist mit sehr viel Stress und Verantwortung verbunden, und es klappt auch nicht immer. So ein Spielfilm, wie „Sprengstoff“ einer ist, hatte auch ein ordentliches Pensum.

Kannst du zum Pensum ein bisschen mehr erzählen? Wie muss ich mir das denn vorstellen?
Wir haben den ganzen Film in acht Tagen gedreht, das bedeutet wir müssen im Durchschnitt 5-6 Minuten Filmzeit schaffen. Das ist schon sportlich. Und ehrlicherweise war manchmal bereits nach einer Stunde Drehzeit klar, dass wir in der Zeit hingen. Das bedeutet dann sofort Stress, und wir mussten die ganze Zeit überlegen, wie wir damit umgehen. Da müssen Sachen gekürzt oder anders gedreht werden. Ich bin eigentlich die ganze Zeit nur vollkommen verschwitzt durch die Gegend gerannt, hab aber versucht mir nichts anmerken zu lassen.
Ich bin so extrem stolz auf das ganze Cast. Besonders aber auf die beiden Nachwuchs-Stars. Die Darsteller*innen waren alle sehr textsicher, haben superschnell umgesetzt, was ich mir so vorgestellt habe und haben auch ihre eigenen Sachen konstruktiv mitreingebracht. Für lange Erklärungen blieb ja kaum Zeit.
Da geht mein Dank auch an die ganze Crew, weil alle so gut mitdurchgezogen haben. Bis hin zur Linus-Spezialprobe. Es herrschte eine tolle wertschätzende Atmosphäre.
Was unterscheidet deine Filme von anderen Kinderfilmen?
Ich schreibe sehr direkt, was die Sprache angeht. Ich erzähle ein bisschen wacher, ein bisschen mutiger und traue Kindern deutlich mehr zu.
Ich mache Workshops mit Kindern und weiß deswegen, dass die Acht- und Neunjährigen heute anders Medien gucken, als ich das früher getan habe. Denen ist vieles, was im KIKA angeboten wird, zu „lame“. Wenn die Kinder mir erzählen, dass sie lieber „Squid Games“, „Wednesday“ oder „Game of Thrones“ gucken, dann fall ich hintenüber.
Als Filmemacher überlege ich aber: Welche Reize kann ich schaffen, die einen ähnlichen Nervenkitzel in einem geschützten Rahmen bieten, den Kinder auch verarbeiten können? Die Sehgewohnheiten sind anders, alles ist viel schneller, viel kürzer. Die Aufmerksamkeit ist nicht mehr so da wie früher. Da frage ich mich, wie ich das filmisch umsetzen kann, damit das Kind, während es guckt, nicht noch parallel TikTok schaut. Dafür muss ich ein anderes Erzähltempo finden.
Ok, Reize sind wichtig, Erzähltempo und geschützter Rahmen. Noch etwas?
Genauso wichtig sind die Themen, die behandelt werden. Häufig sind die im deutschen Kinderfilm weichgespült. Viele haben Angst davor, dass ein Kind sich zwischendrin auch mal ernsthaft sorgt oder gruselt. Deswegen wird dann lieber in die Feel-Good-Schublade gegriffen. Alles ist happy, bunt, nicht zu schwer, nicht zu viel Emotion gleichzeitig. Kinder dürfen beim Filmeschauen nur eine Emotion haben. So ist aber das echte Leben auch nicht!
Wir alle, besonders aber Kinder, können doch in einem Moment total traurig sein und zehn Sekunden später spielen sie wieder glücklich zusammen. Sie haben eine totale Selbstheilungskraft. Filme können das auch spiegeln. In anderen Ländern geht das doch auch.
Kinder haben sich früher bei Märchen gegruselt, haben darüber Ängste verarbeitet und Werte entwickelt. Wenn wir jetzt immer nur versuchen, darauf zu achten, dass Kinder eine gute Zeit haben, hilft das nicht. Denn die driften dann ab zu den erwachsenen Medien, die überhaupt nicht für sie geeignet sind und werden dabei auch noch allein gelassen.
Genau das ist mein Problem. Ich habe das Gefühl, dass Kinder sehr oft mit dem Gucken allein gelassen werden. Und dann landen sie bei „Squid Games“ oder „Game of Thrones“, dabei sind sie überhaupt nicht die Zielgruppe.
Naja, sie sind nicht die offizielle Zielgruppe. Beim Gangsta-Rap sind auch Kinder nicht die offizielle Zielgruppe. Trotzdem hören das sehr viele Kinder, und die Rapper wissen das auch. Um auf die Frage zurückzukommen: Man muss eben andere Vorbilder und Inhalte schaffen.
Nehmen wir als Beispiel mal „Wednesday“. Das ist eine Figur, mit der sich Kinder sehr gern identifizieren. Sie ist tough, sie hat eine besondere Stellung, man merkt, dass sie mutig ist. Dass Kinder da sagen: Ich hätte auch gern diese Kräfte, ist doch normal. Es ist halt nur leider ziemlich blutig und brutal.
Netflix hat aber – im Gegensatz zu den Öffentlich-Rechtlichen zum Beispiel – keine offizielle FSK, die müssen da nicht drauf achten, die machen ihre eigenen Altersvorgaben. Bei „Squid Games“ ist das auch so. Die Spiele, die sind total auf das Konsumverhalten von Kindern angelegt.
Wie kommen wir denn jetzt von „Squid Game“ zurück zu deinem Film „Sprengstoff“? Denn natürlich möchte ich noch mehr erfahren. Du hast gesagt, du wolltest die Regie übernehmen, und deine Erfahrung in der Geflüchtetenhilfe hat auch eine Rolle gespielt. Kannst du noch ein bisschen ins Detail gehen?
Das Drehbuch dazu habe ich nicht geschrieben, aber der Stoff hat mich sehr angesprochen. Ich kann keinen Stoff verfilmen, hinter dem ich nicht stehe. Der Stoff muss mich berühren, sonst wird’s auch nicht gut und dann kann ich in die Tiefe gehen.
Ich habe meine Arbeit in der Geflüchtetenhilfe immer als Bereicherung empfunden. Diese Lebensfreude, dieser Lebenswille, der immer noch da ist, obwohl man so viel verloren hat. Mich inspiriert das. Ich habe mit den Menschen, die hierher fliehen mussten nie negative Erfahrungen gemacht. Immer nur von außen wurde anders und falsch über sie berichtet: Schmutzkampagnen, Vergewaltigungsvorwürfe, die nie stattgefunden haben, das habe ich erlebt. Aber nie von meinen Klient*innen aus.
Ich habe, gerade in der Erstaufnahmeeinrichtung, mehrere Tausend Geflüchtete betreut. Da ist eine hohe Fluktuation. Es kommen Menschen, die noch ganz frisch hochtraumatisiert sind. Die müssen sich plötzlich auf ganz kleinem Raum mit fremden Menschen arrangieren. Und es passiert trotzdem nichts. Und dann sperr mal eine Gruppe privilegierter „Prominente“ in einen Luxuscontainer und schau was passiert.
Das taucht ein bisschen auch in „Sprengstoff“ auf, in der Szene mit der Turnhalle. Da kehrt sich das ja um: Die „Deutschen“ müssen plötzlich zusammenhocken, und die Stimmung kippt sehr schnell. Da wird die Familie, die eigentlich helfen will, direkt angegriffen, weil sie nicht so gut Deutsch spricht. Das heizt sich immer weiter auf.
Ich habe gedacht: Vielleicht kann das ein Film werden, den man in Schulen zeigen kann. Weil es nicht um Statistik geht, sondern weil gezeigt wird, wie schnell Rassismus entstehen kann, welche feinen Nuancen es da gibt, die man selbst vielleicht gar nicht wahrnimmt.
Man muss sich bei gewissen Positionen ja auch ins Feuer begeben und Konflikte austragen. Die Drehbuchautor*innen haben verstanden, dass ich ihre Idee verstehe. Sie haben mir einen Vertrauensvorschuss gegeben. Ich habe mich letztendlich an ihre Struktur gehalten, aber die Sprache zum Beispiel ganz anders entwickelt. Ich wollte da mehr Härte und mehr Aktualität reinbringen.
Die Idee hinter dem Film ist ja, zu zeigen, wie unsere Gesellschaft sich 80 Jahre nach dem Weltkriegsende entwickelt hat. Wir erklären im Film gar nicht, warum das jemals passiert ist oder wie das früher war. Da muss ein Kind dann seine Eltern fragen. Es soll kein Erklärfilm sein, der alles genau aufzeigt, was damals war. Denn die Personen, die heute betroffen sind, sind andere. Wenn wir nicht aufpassen und keine Haltung einnehmen geht das trotzdem wieder ganz schnell in diese Richtung.

Das Pensum am Set von „Sprengstoff“ hast du ja schon angesprochen. Was mich noch interessieren würde: Wie waren den die Dreharbeiten an sich? Habt ihr viel mit Requisiten gearbeitet?
Im Vorfeld waren wir beim Kampfmittelräumdienst und haben u. a. auch die Bombe originalgetrau nachgebaut. Die Fachleute waren dann auch bei uns am Set, damit wir sicher waren, dass die Kommandos alle richtig sind. Denn wenn wir das machen, dann muss es doch so echt wie möglich sein. Gerade für Kinder, die ja 1000 Fragen haben.
Wir hatten ein echtes Kampfmittelräumdienst-Fahrzeug vor Ort. Das war spannend, weil natürlich klar war: Wenn eine echte Bombe gefunden wird, dann wird das sofort abgezogen. Und wir hatten nur diesen einen Tag, um damit zu drehen.
Ich fand gut, dass die geflüchtete Familie im Film nicht Deutsch gesprochen hat, sondern Dari und Farsi. Auch das ist ja für einen Kinderfilm eher selten, dass es da Untertitel gibt.
Ich wollte das nicht, dass da alles auf Deutsch gesagt wird. Das ist doch für die Kinder, die aus anderen Länder, wie in diesem Fall aus Afghanistan oder dem Iran kommen, super, wenn die ihre eigene Sprache im Film mal hören.
Sprache ist generell ein ganz wichtiges Thema. Für die Klangfarbe vom Film, aber auch für die Herkunft. Wenn z. B. eine deutsche Familie nach Bolivien auswandern würde, dann würde die doch zu Hause auch Deutsch sprechen. Warum also nicht andersrum? Klar spricht jemand, der aus Afghanistan nach Deutschland auswandert, zu Hause seine Sprache erstmal weiter.
Ich muss dir noch erzählen, wie toll das mit den Darstellerinnen war. Denn Javeh Asefdjah, die Schauspielerin, die die Mutter spielt, spricht Farsi. Zahel Anwary, der ihren Sohn spielt, spricht Dari, einen afghanischen Dialekt. Die Sprachen haben miteinander zu tun, sind aber nicht gleich. Wir mussten also zusammen einen Weg finden, wie das funktioniert. Weil es nicht zu Irritationen bei den Zuschauenden kommen sollte, haben wir uns dann die Backstory überlegt, dass eine iranische Frau einen afghanischen Mann geheiratet hat. Eine solche Liebe ist vielleicht selten, aber genauso schön wie jede andere. Deswegen spricht der Junge Dari, die Mutter Farsi, und sie verstehen sich trotzdem.
Die Schauspieler*innen haben ihren Text, eigenständig übersetzt, ich habe versucht mich reinzuhören und wir haben es dann einfach durchgezogen. Ich finde das total bereichernd für den Film. Wer jetzt sagt: Ich will aber keine Untertitel lesen, dem kann ich nur sagen: Film soll erst mal zeigen und nicht erklären. Ich versuche mit Blicken und Emotionen zu arbeiten, die auch Worte übertragen können, die man manchmal nicht sofort versteht.

Warum interessiert dich das Thema Kindermedien eigentlich so sehr?
Ich möchte mit meiner Arbeit einen gesellschaftlich wertvollen Beitrag leisten. Ich möchte meine moralischen, ethischen, menschlichen Ansichten weitertragen. Das war für mich schon klar, als ich 15, 16 Jahre alt war. Und wie kann ich das am besten erreichen? Was ist das beste Medium dafür? Für mich ist das der Film. Kinder suchen nach Vorbildern, nach einem moralischen Kompass, nach etwas, wo sie sich wiederfinden und an dem sie sich orientieren können.
Ich arbeite außerdem auch wahnsinnig gern mit Kindern. Sie haben einen ganz anderen Blick auf die Welt und geben einem ganz viel zurück. Anders als viele Erwachsene verstecken sich Kinder nicht hinter einer Fassade. Uns ist die Ehrlichkeit verloren gegangen, aber Kinder haben das noch ganz viel.
Grönemeyer hat doch mal „Kinder an die Macht“ gesungen. So ist es. Rassismus ist zum Beispiel etwas, das angelernt ist. Das kennt man nicht aus sich heraus. Und wenn man Rassismus anlernen kann, dann möchte ich Kindern beibringen, dass sie die Welt mit offenen Augen wahrnehmen, Menschen mit offenem Herzen begegnen. Dann sind Begegnungen wieder Bereicherungen.
Wenn diese im echten Leben nicht stattfinden, dann eben im Film. Da kann man eine gute Botschaft senden, die auch komplex sein kann. Denn Kinder sind ja zu ganz komplexen Gedanken fähig. Man ist als Elternteil doch immer wieder erstaunt, worüber sich schon Vierjährige so Gedanken machen.
Aber die Gesellschaft findet Kinder oft nur so mäßig super. Ich z. B. habe schon oft das Gefühl, dass meine drei Kinder stören. Da ist nix mit offenen Armen und annehmen.
Das ist meiner Meinung nach ein deutsches Phänomen. Wenn du zum Beispiel in Italien bist, dann hast du dein Kind ganz lange nicht mehr bei dir, weil es von Schoß zu Schoß weitergereicht wird. Da werden Kinder laufen gelassen, da findet das Leben statt und Kinder sind dabei. Denen wird ermöglicht, eigene Erfahrungen zu sammeln, die nicht immer überwacht sind. Wie sollen Kinder ihre Flügel entwickeln, wenn da immer ein Helikopter kreist?
Ich habe Kinder in der Geflüchtetenhilfe erlebt, die haben extrem grausame Dinge erlebt. Und obwohl wir keine gemeinsame Sprache haben, haben wir Möglichkeiten gefunden, miteinander zu spielen, Spaß zu haben, zu lachen. Natürlich haben sie auch geweint, waren traurig. Aber es gab auch heitere Momente. Diese Selbstheilungskräfte, die haben Kinder. Die wollen das Gute sehen, die wollen Fragen stellen und verstehen, wie eine gute Welt funktionieren kann.
Was inspiriert dich in deiner Arbeit?
Im Kinderfilmbereich sind es vor allem Begegnungen. Ich möchte versuchen, die Brücken zu schlagen, die man im echten Alltag leider häufig nicht findet, indem ich zu Begegnung anrege. Denn ich weiß: Wenn die stattfinden, baut das extrem viele Vorurteile ab.
Wenn ich z. B. Workshops gebe und da kommen Kinder aus Zehlendorf und aus Neukölln, dann entsteht da keine Krawalle, sondern ganz viel Liebe und Inspiration. Sowas passiert im Alltag eher nicht. Das versuche ich auch in Filmen oder meinen eigenen Projekten zu schaffen. Ich versuche, sozioökonomische Strukturen zusammenzubringen, die vielleicht im echten Leben nicht zusammenkommen.
Diese ganzen Filterblasen, in denen wir leben, in denen wir uns online bewegen, die sind das Problem. Weil wir glauben, das ist die Welt. Aber dieses echte Zusammenkommen, das findet gar nicht mehr statt. Und das sollte sich wieder ändern.
Den Film „Sprengstoff“ findet ihr in der ZDF Mediathek oder auf dem YouTube Kanal von zdfTivi.
Mehr über Linus Liyas findet ihr auch auf seiner Website.
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