Jacob Matschenz im Interview mit Andrea Zschocher zu Wut

Jacob Matschenz: „Warum wir Wut brauchen? Um uns klarmachen, was uns wichtig ist“

Im Interview mit Jacob Matschenz ging es ziemlich viel um die Themen, die uns alle beschäftigen, bei denen wir aber nicht so gern hinschauen. Wut, Mobbing und Ablehnung von anderen – das alles ist ziemlich schwer und geht wirklich tief rein. Grund fürs Gespräch war Jacobs Rolle Sam Harris im neuen Charlotte Link – Film.

Bevor hier aber der Eindruck entsteht, dass Jacob und ich nach dem Interview erst mal ganz viel Liebe brauchten: Dem war nicht so, denn wir haben auch ziemlich viel gelacht. Und ich hoffe ja, dass wir das nächste Mal das ganze Interview durchberlinern, immerhin teilen wir diesen sozialen Hintergrund miteinander.

Warum sind wir vom Bösen so fasziniert?

Jacob Matschenz: Dazu gibt es verschiedene Thesen. Für viele Menschen sind die Grimmschen Märchen ja zu düster, die sagen, dass man das Kindern nicht mehr vorlesen soll. Ich habe das als Kind total geliebt, auch die Schallplatte von „Peter und der Wolf“ fand ich toll. Ich habe mich immer so sehr gegruselt, dass ich mich hinterm Sofa versteckt habe. Und trotzdem habe ich das rauf und runter gehört.

Weil dieses Kribbeln einfach toll ist, wie beim Achterbahnfahren. Der Thrill ist echt, aber man ist in Sicherheit. Diese Faszination gibt es bei diesen ganzen True-Crime-Podcasts ja auch. Ich glaube, dass die Faszination fürs Böse auch etwas Verbotenes hat. Man kann da seine eigenen Fantasien ausleben, ohne dass man sie wirklich umsetzt. Die wenigsten könnten so etwas Böses ja in echt tun.

Jacob Matschenz im Interview mit Andrea Zschocher zu Wut
© ARD Degeto/Khuram Qadeer Mirza

Die Figur Sam in „Charlotte Link – Einsame Nachtist eigentlich ein Niemand und dann driftet der so ab. Wo hast du das aus dir hergeholt?

Ich habe schon eine kleine Grundwut in mir. Die hilft mir für solche Momente sehr. Und natürlich beobachte ich auch meine Kollegen. Wer spielt wen wie, und was kann ich mir da abgucken? Es ist ja so, dass ich das Rad auch nicht neu erfinden kann, aber ich kann versuchen, etwas, das ich bei anderen gut finde, auch für meine Arbeit umzusetzen, es anders zu interpretieren. Wir alle haben ja auch eine dunkle Seite. Ich darf die im Gegensatz zu anderen im Spiel für gutes Geld in England rauslassen. [Er lacht]

Die Regie musste mich schon auch mal bremsen, denn natürlich habe ich geschaut, wie weit ich das Spiel treiben kann. Und ja, dann habe ich manchmal sogar angefangen zu berlinern.

Du hast Wut in dir, ick auch und wir sind damit sicher nicht allein. Und doch gucken nicht alle so genau hin. Warum lohnt sich das, und warum ist das Annehmen der Wut vielleicht auch ein guter Weg?

Ich kenne auch Leute, die ein Problem damit haben, wütend zu werden. Bei denen ist das echt ein Thema.

Wut will einem ja immer etwas sagen. Wenn du diesen Teil von dir dauerhaft unterdrückst, dann kannst du richtig krank werden. Man muss schauen, was diese Wut in einem auslöst und dann einen Umgang damit finden. Atmen kann da zum Beispiel helfen. Denn seine Wut immer auszuagieren, ist ja auch nicht gut.

Für mich ist Wut ein Schmerzreiz. Und gleichzeitig auch ein totaler Energiegeber. Sie darf nur nicht destruktiv werden.

Warum wir Wut brauchen? Um uns klarmachen, was uns wichtig ist. Oft wissen wir das doch gar nicht so genau.

Ich habe letztens ein Video gesehen, da meinte jemand: Wenn man eine Tasse mit Kaffee in der Hand hält und angerempelt wird, dann wird Kaffee verschüttet. Aber muss es immer Kaffee sein? In der Tasse könnte sich ja auch Wasser befinden. Mit der Wut ist das auch so. Wir alle haben diese Tasse, diese Wut in uns. Sie ist unser Ventil. Was da rüberschwappt, das bestimmen aber wir. Es wäre vielleicht ganz gut, wenn wir diese Tasse in uns mit möglichst viel Gutem füllen. Klingt ein bisschen esoterisch-spirituell, ist aber so. Wir brauchen einfach weniger Wut in der Welt. Oder einen gesünderen Umgang damit.

Jacob Matschenz im Interview mit Andrea Zschocher zu Wut
© ARD Degeto Film/Khuram Qadeer Mirza

Von der Wut ist es auch nicht weit bis zum Mobbing, ein weiteres wichtiges Thema im Film. Du bist kein Mobbingexperte, aber ich nehme an, dass du dich damit auch beschäftigt hast. Was würdest du Menschen, die gemobbt werden, mit auf den Weg geben?

Such euch Verbündete! Das große Problem beim Mobbing ist ja, dass man sich so einsam fühlt, weil da oft eine Gruppe gegen einen Einzelnen vorgeht. Kinder können da besonders grausam sein. Es hilft auch, mit Leuten drüber zu reden. Nicht nur mit denen, die dich unterstützen, sondern auch mit denen, die dich mobben. Ich weiß, dass diese Menschen ganz schwer annehmen können, was sie anderen antun. Aber es ist wichtig.

Man sollte nicht das Gefühl haben, die Situation allein ertragen zu müssen. Das Schlimmste am Mobbing ist ja, dass man das Gefühl hat, man sei so isoliert. Wenn man da nicht drüber spricht, bleibt das eine schmerzende Wunde, auf die, weil man keine Resilienz entwickeln kann, das ganze Leben lang immer wieder eingedroschen wird. Da sind wir dann auch wieder bei der Wut, über die wir schon gesprochen haben.

Denn wenn Wut und Ekel und all diese negativen Gefühle auf dich einprasseln und sie das Einzige sind, was du kennst, dann wird das irgendwann auch deine einzige Art der Kommunikation und deine Art im Umgang mit anderen Menschen sein.

Was wir uns auch vor Augen führen müssen: Man kann kein Gefühl dazu entwickeln, wenn man das nicht selbst durchgemacht hat. Das ist wie z. B. mit Hunger. Wer nie Hunger leiden musste, kann das nicht nachempfinden. Jemand, der das auch erlebt hat, kann da ganz anders andocken.

Es gibt deswegen ja auch die Idee von Rollenspielen: dass Täter und Opfer unter Begleitung ihre Rollen tauschen. natürlich ohne, dass das komplett eskaliert. Aber so wird den Tätern die Opfersituation nahegebracht. Für einige ist das sehr hilfreich. Es passiert nur leider noch viel zu selten.

Jacob Matschenz im Interview mit Andrea Zschocher zu Wut
© ARD Degeto Film/Khuram Qadeer Mirza

Apropos selten: Das ist Gewalt gegen Frauen im deutschen Krimi ja nun leider überhaupt nicht. Sie zu zeigen ist eher Alltag, wir werden ständig damit konfrontiert. Dass dieser Frauenhasse als ein stilistisches Mittel eingesetzt wird, regt mich ehrlich gesagt ziemlich auf. Wie guckst du denn als Mann da drauf?

Als Mann betrifft es mich natürlich nicht so sehr. Und es ist ja statistisch einfach so, dass Frauen viel häufiger Opfer von Gewalttaten werden. Dass das medial immer wieder reproduziert wird, finde ich auch schwierig. Ich habe mich ehrlicherweise aber auch nicht tiefergehend damit beschäftigt.

Vermutlich ist es auch so, dass Gewalt gegen Männer weniger häufig dargestellt wird, weil da ein ganz anderes Männlichkeitsbild dranhängt. Denen wird gesagt, dass sie stärker sind als die Frauen. Das ist ja auch ein altes, sexistisches Bild, das da transportiert wird. Viele finden das unrealistisch, dass Männer auch von Gewalt von Frauen betroffen sein können. Diese Sehgewohnheit ändert sich nur sehr, sehr langsam. Stattdessen bleiben wir bei all dem, was wir seit der Bibel und den Gebrüdern Grimm kennen: Die Frauen sind Hexen, die sind schwach und werden bestraft. Und die Männer sind stark, die können sich wehren.

Es gibt doch diese Studie, dass True-Crime-Podcasts zu 80 % auch von Frauen konsumiert werden. Die Statistik sagt wohl, dass sie das hören, um im echten Leben besser Warnzeichen erkennen zu können. Da spielt auch der Gruselfaktor mit rein, über den wir schon gesprochen haben. Aber auch, und das ist das Erschreckende, die Vorbereitung auf eine mögliche Realität.

Absoluter Themenwechsel, aber ein Teil deiner Realität: Du gehst als Schauspieler zu vielen Castings, bekommst letztlich aber nicht alle Rollen. Wie gehst du mit Ablehnung und Enttäuschung um? Denn auch wenn wir nicht alle Schauspieler*innen sind, die dahintersteckenden Gefühle, die kennen wir ja alle.

Es gehört für mich zum Spiel dazu. Ich habe akzeptiert, dass es nicht immer klappt. Ich lese die Bücher, und es passiert oft genug, dass ich beim Lesen schon jemand ganz anderen im Kopf habe. Da kann es dann passieren, dass ich beim Casting sage: „Habt ihr den und den auch dazu eingeladen?“

Wenn ich glaube, dass jemand anderes einen Part besser spielen kann, kann ich sehr gut damit umgehen, dass ich die Rolle nicht bekomme. Am Ende will ich, dass es ein guter Film wird. Wenn jemand dafür besser geeignet ist, dann bin ich vielleicht auch enttäuscht und traurig, dass ich es nicht geworden bin, aber für den Film und den Kollegen freue ich mich.

Ich versuche mich auch immer daran zu erinnern, dass etwas anderes kommen wird. Es bringt ja auch nichts, sich da zu frustrieren und ewig zu grübeln, warum ich abgelehnt wurde. Es ist dieses bescheuerte Wort „Mindset“, aber das trifft es eben. Es wird immer mehr Ablehnung als Zusagen geben. Wenn man das akzeptiert, fällt es etwas leichter.

Es wird immer andere Kollegen geben, es kommen neue Gesichter nach, es gibt immer größere Namen, und da wird man dann den Kürzeren ziehen. Dann hat es eben nicht gepasst. Man muss andere deswegen nicht schlechtreden. Ich bin okay damit, dass ich nicht Elyas M’Barek oder Freddy Lau bin. Dafür kann ich mein Leben auch in Ruhe leben, ohne dass ich ständig nach einem Selfie gefragt werde. [Er lacht]

Wenn ich irgendwann nicht mehr gefragt bin, dann muss ich vielleicht den Beruf wechseln. Es gibt ja keine Garantie, selbst dann nicht, wenn du ein großer Name bist.

Jacob Matschenz im Interview mit Andrea Zschocher zu Wut
© ARD Degeto Film/Khuram Qadeer Mirza

Das klingt aber sehr gefestigt. Wie lange hast du daran gearbeitet?

Das dauert schon ein wenig. Und zur Wahrheit gehört auch: Ich habe keine Kinder, ich habe kein Haus, das ich abbezahlen muss, ich fahr kein dickes Auto. Ich kann von meinem Beruf gut leben, werde gut dafür bezahlt. Wenn das weniger wird, kann ich mir ein bisschen weniger leisten, aber ich kann das schon eine Weile aussitzen.

Vielleicht ist es aber auch hier einfach meine Sicht aufs Leben. Ich bin schon immer ein Sonntagskind gewesen, habe immer daran geglaubt, dass irgendwas anderes kommen wird. Weil sich immer etwas Neues aufgetan hat. Wenn ich aufs Glück angewiesen war, dann war es auch da.

Wenn das jetzt so klingt, als hätte ich nie Probleme gehabt, dann stimmt das natürlich nicht. Ich bin zum Beispiel jetzt in einem Alter, in dem es mit dem jugendlichen Helden langsam vorbei ist. Die Rollenangebote ändern sich also auch für mich. Ich gehe jetzt zu anderen Castings als früher. Ob das jetzt genauso gut laufen wird, werden wir sehen. Ich habe erstmal die Einstellung, dass Filme gedreht werden und dass schon immer wieder mal jemand gebraucht wird, der seinen inzwischen angegrauten Kopf da in die Kamera hält und spielt.

Jacob Matschenz im Interview mit Andrea Zschocher zu Wut
© ARD Degeto Film/Khuram Qadeer Mirza

Vielleicht geht es jetzt auch erst richtig los, Jacob?

You never know. Ich habe neulich was von George Clooney gelesen, der auch immer zu Castings gerannt ist und sich dann fertiggemacht hat, wenn es nicht geklappt hat. Bis er seine Denkweise verändert hat und sich klargemacht hat: Die anderen haben ja auch ein Vorstellungsgespräch bei ihm. Denn er hat eine Vorstellung von der Figur, und die bietet er an. Und dann guckt man, ob das zusammenpasst.

Das umzudrehen, sich zu sagen: Ich brauche die anderen, aber die brauchen mich ja auch, das ist eine gute Perspektive auf die Welt. Denn dann kommt man von der Mentalität weg, dass die anderen einen nicht wollen könnten oder dass man dankbar sein muss, wenn es mal klappt. Man selbst hat ja auch was zu bieten, darf auch selbst wählen. Ich habe ein bisschen Erfahrung, ich muss mich also nicht unter Wert verkaufen.

Das Gefühl, in der schwächeren Position zu sein, ist total menschlich. Aber du hast recht, man sollte sich nicht so klein machen.

Genau, man muss nicht so unterwürfig sein. Zu viel Ego ist natürlich auch nicht gut, aber man muss nicht die ganze Zeit während einer Produktion dankbar sein, dass man dabei sein darf. Sonst beschränkt man sich auch total. Dann macht man keine Vorschläge, wie die Szene vielleicht auch noch gespielt werden könnte. Dann ist man getrieben davon, unbedingt zu gefallen. Und das ist nicht gut, weil es manchmal dem Film guttut, wenn man über die Figur streitet. Vielleicht kann man die nämlich noch besser schreiben, ihr eine andere Perspektive geben.

Man muss sich trauen, an diesen Schräubchen zu drehen, denn dann wird eine ganz andere Energie freigesetzt. Dafür musst du dich aber frei und sicher genug fühlen, deine Meinung zu äußern und Sachen zu probieren.

„Charlotte Link – Einsame Nacht“ läuft am 2. und 3. Oktober jeweils um 20:15 Uhr in der ARD. Alternativ könnt ihr den Krimi auch in der ARD Mediathek schauen.


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert