Mit Friederike Becht über ihre Mitwirkung in der Serie „HUNDERTDREIZEHN“ zu sprechen, war nicht nur deswegen ein Vergnügen, weil sie während unseres Interviews in der Natur spazieren war (was ja immer Ruhe in solche Gespräche bringt), sondern weil sie auch so angenehm reflektiert über ihre Arbeit spricht. Gerade ihre Figur „Clara“ finde ich in der Serie nämlich extrem intensiv.
Wie die Überschrift schon verrät, geht es um „Survivors guilt“ (und das ist kein Spoiler, versprochen), um Scham und das in uns reinhorchen. Wie oft seid ihr euch eurer Selbst eigentlich bewusst? Spannende Frage, um ins Interview mit Friederike Becht zu starten, oder?
Was bedeutet diese Zahl 113 für dich?
Friederike Becht: Ich wusste am Anfang nicht, dass es eine Studie gibt, die besagt, dass 113 Menschen unmittelbar betroffen sind, wenn jemand in einen Verkehrsunfall verwickelt ist. Das ist eine erschreckende Zahl von Menschen, die mitleiden, wenn so etwas passiert. Wenn so viele Menschen auf seelischer Ebene bei einem Autounfall mitverletzt werden, dann ist es kaum vorstellbar, darüber nachzudenken, wie viele Menschen von Krieg verletzt werden.
Die Serie versucht zu erzählen, dass wir alle miteinander verbunden sind und dass das, was passiert in der Welt und wie wir uns verhalten, eine Bewegung mit sich bringt, die wir vielleicht gar nicht vermuten. Mir ist das im Alltag zu wenig bewusst. Es gibt manchmal Momente, wo wir merken, dass etwas, das wir so nebenbei machen, das für uns kaum Bedeutung hat, einen ganz tiefen Eindruck bei jemand anderem hinterlassen kann.
Was mich am Ende am meisten an der Serie und dem Konzept interessiert hat, waren die Auswirkungen, die es hat, wenn wir uns auf eine bestimmte Art verhalten.

Deine Carla tut etwas, das einen beim Zuschauen erst abschreckt, dann wird’s nachvollziehbar und dann gibt es einen Moment der Erlösung. Mich hat das sehr bewegt.
Die Szene, die du ansprichst, war für meine Figur und die Figurenführung ganz wichtig, weil die Verantwortung nicht komplett bei ihr liegt. Ich will auch nicht von Schuld sprechen, weil das so ein hartes Wort ist. Es gibt Menschen, die sich schuldig fühlen, weil sie überlebt haben. „Survivor’s Guilt“ nennt man das, und das kann man auch haben, wenn man in seinem gefühlt sicheren Zuhause sitzt und um uns herum die Welt brennt.
Das ist eine Art Schuldgefühl, das nicht so leicht zu erklären ist. Denn wir haben das Glück, nicht an Hunger sterben zu müssen oder weil uns niemand aus dem Mittelmeer retten möchte. Wir haben die Möglichkeit, mit einer Freundin spazieren zu gehen, Jobs zu machen, die wir lieben. Es geschehen so viele Dinge gleichzeitig, und das ist manchmal schwer auszuhalten.
Sich dafür nicht schlecht zu fühlen, aber auch Verantwortung zu übernehmen, das ist schwer. Meine Figur macht das. Sie stellt sich ihrer Angst, ihren Dämonen. Das ist auch alles, was sie tun kann. Und es ist das, was eine Heilung in sich birgt. Wenn man nicht mehr vor etwas wegläuft und lernt, sich selbst zu vergeben.

Deine Carla reißt sich extrem zusammen und ich fürchte, das kennen wir alle auch. Aber warum zeigen wir anderen so selten, wie wir wirklich fühlen?
Ich glaube, das ist ein gesellschaftliches und soziales Problem. Wir werden oft dazu angehalten, zu funktionieren. Dadurch entsteht vielleicht auch Scham, wenn man sich schwach fühlt oder merkt: Ich bin eigentlich müde, ich kann diese Leistung gerade nicht bringen. Das sind sozialen Zwänge, denen wir nicht entkommen.
Es ist wichtig, dass wir wieder lernen, in uns hineinzuhören. Wir müssen uns da selbst Mut machen und sagen: Unsere Schwäche ist auch eine Stärke. Man darf zu sich stehen. Wenn deine Meinung eine andere ist als die der Masse, dann ist das in Ordnung. Man darf nebeneinander existieren. Man muss sich selbst erlauben, so zu empfinden.
Ich bin davon überzeugt, dass wir einen anderen Weg gehen müssen, als immer nur höher, schneller, weiter.
Das glaube ich auch. Dafür kann es helfen, mal einen Moment aus dem modernen Leben raus- und in den Wald reinzugehen. Dort dauert es dann auch kurz, bis man loslassen kann. Aber dann kann man gucken, was da eigentlich in einem drin ist, was gehört werden will.
Ich glaube, es gibt vieles, bei dem wir denken, dass man das akut nicht brauchen kann, dass es einen im Alltag daran hindert, zu funktionieren. Es gibt wahrscheinlich auch jede Menge Traurigkeit, Wut, ungeweinte Tränen, die wir zur Seite schieben, weil das alles keinen Platz in unserem festgetakteten Tagesrhythmus hat.
Wir brauchen diese kleinen Momente, um in uns zu lauschen. Das ist sehr heilsam für einen selbst und am Ende auch für das Gegenüber. Uns wird suggeriert, dass wir unseren Status oder unsere Arbeit verlieren, wenn wir das tun, aber das stimmt nicht.

Warum ist das in uns Reinhorchen so schwierig?
Ich glaube, es ist auch deswegen schwierig, weil wir inzwischen in einer Gesellschaft leben, wo alles einen Zweck und ein Ziel hat, auf das man hinarbeiten muss. Aber wir sind doch nicht dazu bestimmt, zur Schule zu gehen, zu arbeiten und dann irgendwann tot umzufallen. Es wird uns nur suggeriert, dass es so sei. Ich glaube, der Mensch ist so viel mehr und so viel wertvoller einfach in seinem Sein. Wir haben völlig verlernt, dass wir einen Wert als Mensch haben, einfach weil wir da sind. Wir sind wichtig, weil wir da sind.
Wir sollten das Leben genießen. Seltsamerweise ist das bei uns Menschen aber oft mit Scham verbunden. Das sind Fragen in einem: Darf ich das jetzt sagen? Habe ich hier den Raum dafür? Bekomme ich diesen überhaupt? Bin ich verwertbar? Dabei muss man das ja nicht immer sein. Vielleicht hat es am Ende auch alles mit unserem materialistischen System zu tun.
„HUNDERTDREIZEHN“ kommt am 14. und 15.10.2025 in jeweils drei Folgen in der ARD. Ihr könnt die Serie ab sofort auch in der ARD Mediathek anschauen.
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