Interview Damien Dorsaz mit Andrea Zschocher

Damien Dorsaz: „Wie finden wir unseren Weg im Leben?“

Ja, mit „Maria Reiche: Das Geheimnis der Nazca-Linien“ empfehle ich euch innerhalbt weniger Monate schon den zweiten Film, der in der Wüste spielt. Aber auch wenn die Sinnsuche hier ebenfalls ein Thema ist, ist es doch ein ganz anderer Film als Sirat. Ich hatte das große Glück mit dem Regisseur und Drehbuchautor Damien Dorsaz über den Film sprechen zu können und fand es toll, dass wir dann letztlich doch bei den gleichen, großen Fragen herauskamen.

Wenn ich euch jetzt frage: Hat euer Leben einen Sinn? Lebt ihr so, wie ihr es immer wolltet? Was ist dann eure Antwort? Ich kann sagen, dass ich an manchen Tagen die perfekte Antwort darauf habe, und an anderen überhaupt nicht. Deswegen liebe ich ja auch Filme so sehr, die diesen Denkprozess immer weiter in Gang bringen. Lasst euch also von Damien unbedingt zum Nachdenken anregen.

Wie hat die Begegnung mit Maria dein Leben verändert?

Damien Dorsaz: Ich habe sie 1996 getroffen, da war ich noch jung, erst 23 Jahre alt. Ich reiste durch Südamerika und suchte nach der Antwort auf die Frage, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Ich hatte viele Fragen und eine Frau zu treffen, die 50 Jahre in der Wüste blieb, um herauszufinden, was sie sie wirklich mit ihrem Leben machen will, das war sehr beeindruckend für mich. Sie hat so lange durchgehalten und schließlich dieses Meisterwerk geschaffen. Das war für mich etwas Großes. Sie zu treffen hat mein Leben verändert, weil ich erfahren habe, was wir aus unserem Leben machen können. Wir müssen deswegen jetzt nicht losgehen und Nazca-Linien suchen. Aber wir alle können lernen in uns hineinzuschauen und dann das tun, was uns erfüllt.

Interview Damien Dorsaz mit Andrea Zschocher
©Tobis/ Oliver Kern

Du warst also auf der Suche danach, was du mit deinem Leben anfangen wolltest. Das spiegelt sich auch im Film. Da ist deine Maria auch genau auf dieser Suche.

Der Film ist meine Vision von ihr. Natürlich ist er eine Mischung aus meiner Sensibilität, dem, was ich ausdrücken möchte, und ihrem Leben. Es ist, als hätte ich versucht, eine Art Gemälde über ihr Leben zu malen. Am Ende bleibt es ein Gemälde, eine Fiktion.

Natürlich sagt der Film auch viel über mich. Sie hatte, als sie vor langer Zeit in Peru ankam, die gleichen Fragen wie ich. Sie hat ihrer Mutter Briefe geschrieben und gesagt: Ich weiß nicht, wer ich bin. Ich versage im Moment in meinem Leben, aber ich fühle etwas in mir, ich habe das Gefühl, dass etwas passieren wird“. Ein, zwei Jahre später hat sie die Nazca-Linien entdeckt.

Ist es denn jemals zu spät, ein Lebensziel zu finden? Wir sind heute alle so darauf gedrillt, dass wir aus der Schule kommen und wissen müssen, wo unser Weg uns hinführt. Aber ich weiß manchmal auch jetzt nicht, wo es langgeht.

Ich verstehe dich. Ich sehe, dass viele Menschen nach Bedeutung suchen, Wir haben Momente, in denen das, was wir uns in den Kopf gesetzt  haben, funktioniert, Dann hört es auf und wir müssen von vorn beginnen.  Das zeigt auch mein Film. Es ist nicht nur ein Film über eine junge Frau, die ihren Weg findet. Die eigentliche Frage des Films ist: Wie finden wir unseren Weg? Wie suchen wir nach einem Weg, der wirklich mit dem übereinstimmt, was wir tief in uns fühlen? Und das geschieht viele Male im Leben, da hast du vollkommen recht.

Interview Damien Dorsaz mit Andrea Zschocher
© TOBIS Film/ Daniela Talavera

Und ich finde, es passt auch, dass die Nazca-Linien keine geraden Linien sind. Denn auch unser Leben verläuft ja nicht geradlinig.


Genau das. Im Film findet Maria zuerst gerade Linien und folgt ihnen. Aber dann dreht sie den Kopf, und plötzlich sieht sie, dass die Linien etwas anderes bilden, eine Figur. Und natürlich sind sie nicht gerade, sondern verlaufen in alle Richtungen. Für mich ist das eine Metapher für ihre innere Welt. Ich sehe da zwei Filme: den äußeren – die Landschaft – und den inneren, wenn sie an den Linien arbeitet. Für mich arbeitet sie dann an ihrem Inneren. So habe ich es mir immer vorgestellt.

Man sieht Maria im Film mit sich selbst kämpfen, dann wird sie krank und, als sie fast aufgibt, helfen ihr andere Menschen. Ich finde auch das eine wichtige Message: Man muss es nie allein schaffen, kein Mensch ist eine Insel.

Hätte ich den Film vor 20 Jahren gemacht, hätte ich mich wahrscheinlich nur auf Maria konzentriert. Heute weiß ich, dass wir auch die anderen brauchen. Ich wollte keinen Film machen, in dem es so aussieht, als sei nur Maria großartig und die anderen liegen falsch. Nein, wir brauchen auch die anderen Menschen.

Du hast ja schon einen Dokumentarfilm über Maria Reiche gemacht. Könnte es sein, dass du in 20 Jahren eine weitere Version von ihr und ihrem Schaffen machst?

Ja, das wäre möglich. Ich wurde schon öfter darum gebeten, einen Film über das Ende ihres Lebens zu machen. Über die Zeit, als sie schon berühmter war, so ab dem Ende der 80er Jahr. Sie hatihr ganzes Leben in der Wüste gearbeitet und jetzt kommen die Leute um ihre Arbeit zu sehen. Das könnte interessant sein. Aber mich fasziniert vor allem der Anfang: Wann beginnt ein Maler, wirklich Maler zu sein? Wann findet ein Schriftsteller seinen Weg? Oder eine Mutter, die zum ersten Mal Mutter wird? Dieser Anfang der Reise berührt mich mehr, als später nur zu sagen: „Oh, sie war eine Heilige, sie hat etwas Großartiges geschaffen.“ So sehe ich sie nicht. Ich liebe ihre Reise, weil sie einfach ihrem Weg gefolgt ist.

Interview Damien Dorsaz mit Andrea Zschocher
© TOBIS Film/ Daniela Talavera

Du interpretierst in deinem Film ihr Leben, es ist nicht alles historisch akkurat. Du hast es schon beschrieben, du verstehst dich als ein Maler, der eine Version ihres Lebens zeichnet.

So ist es. Es ist doch so: Du sitzt vor mir, und wenn ich dich male, werde ich etwas anderes sehen und zeichnen als ein anderer Maler. Wir sehen nicht die gleichen Dinge, auch wenn wir das gleiche ansehen.

Ich mache Filme, weil ich das Unsichtbare eines Menschen zeigen möchte, die Seele, die innere Reise. Ich mag diesen intimen Teil einer Person. Das habe ich auch bei meinem Film über Maria Reiche versucht. Andere Filmschaffende hätten vielleicht eine Biografie gemacht, hätten sie mehr von außen betrachtet. Aber für mich sind es immer meine eigenen Fragen, die einfließen, die mich leiten.

Welche Fragen leiten dich in deinem Leben?

Für mich gibt es im Grunde nur die eine große, metaphysische Frage: Was mache ich mit meinem Leben? Wohin bringe ich es? Schenke ich dem, was in mir wichtig ist, wirklich Gewicht? Deshalb wollte ich Marias Geschichte erzählen. Ich kann über sie viele dieser Fragen ausdrücken. Dass jemand seinen Weg im Leben findet, das kann sehr theoretisch klingen. Aber in ihrem Fall ist es sichtbar: Sie entdeckt die Linien in der Wüste. Das Publikum kann fühlen, was ich sagen will, ohne dass ich es erklären muss.

Ich hätte diesen Film niemals in Berlin oder Paris drehen können, weil mir da viele visuelle Dinge gefehlt hätten. Das war es auch, was mich bei dieser Geschichte von Anfang an tief berührt hat. Es ist die Geschichte von jemandem, der seinen Weg findet, indem alte Pfade entdeckt und sich darin findet.

Für jeden wird in deinem Film sicherlich etwas anderes von zentraler Bedeutung sein. Deine Maria schaut sehr tief in sich hinein. Glaubst du, dass viele Menschen so tief in sich hineinschauen – oder leben wir heute eher so, dass man besser nicht zu tief geht?

Ich weiß, dass wir uns vor zehn Jahren die Fragen, über die ich gesprochen habe, so gar nicht gestellt hätten. Damals hätte ich den Film auch nicht machen können. Aber jetzt mit der Klimakrise, mit den politischen Entwicklungen, da fragen wir uns alle: Wohin gehen wir? Was ist wichtig?

Vielleicht gehen nicht alle so tief in sich, wie Maria es getan hat. Sie war da schon ein Extremfall. Aber durch ihre Geschichte wollte ich dem Publikum die Möglichkeit geben, sich selbst diese Fragen zu stellen. Maria hatte eine enorme Energie, die ich gespürt habe, als ich sie traf. Diesen Funken wollte ich weitergeben. Ich hoffe, dass die Zuschauer am Ende, wenn der Abspann läuft, über ihr eigenes Leben nachdenken.

MARIA REICHE: DAS GEHEIMNIS DER NAZCA-LINIEN könnt ihr ab 25.09.25 im Kino anschauen. Tatsächlich empfehle ich euch den Kinobesuch, weil die Bilder so viel viel besser wirken können. Erzählt mir gern, welche Fragen der Film bei euch ausgelöst hat.


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