Ich liebe Interviews, ich werde ja nicht müde, das zu betonen. Weil ich neugierig bin und dann beruflich Fragen stellen kann, weil ich immer, immer, immer was Neues lerne. Besser gehts doch gar nicht, oder? Na, ein bisschen schon, denn wenn die Chemie mit dem Gegenüber dann stimmt, dann isses halt noch ein bisschen schöner. Im Interview mit Christian Erdmann war das auf jeden Fall so und ich hoffe schwer auf eine Wiederholung.
Christian Erdmann kennt ihr entweder vom Theater, wo er bis 2019 in Hannover, Dresden und Düsseldorf zu sehen war, oder aus diversen Filmen und Serien. Ob Tatort, Ostfrieslandkrimis oder Merz gegen Merz, ihr seid ihm schauspielernd ganz sicher schon begegnet. Im Interview gehts nicht nur um seine Rolle im neuen Film „Ein ganz großes Ding“, sondern auch um Mut, langjährige Partnerschaften, Eifersucht und das Freund*innen finden jenseits der 40. Was, kleiner Spoiler, am Ende wohl auch wieder mit Mut und dem Willen, etwas Neues zu lernen, zu tun hat.
Was hat dich an der Rolle des Lennart Lurz so gereizt, dass du gesagt hast: „Da mach ich mit!“?
Christian Erdmann: Es war vor allen Dingen das Buch und Ralf Husmann. Ich bin ein großer Ralf-Husmann-Fan. Stromberg und die ganzen anderen Sachen, die er geschrieben und produziert hat, habe ich immer mit großem Vergnügen gesehen. Beim Schauen habe ich gedacht: „Mensch, das wäre doch meine Begegnung, über die ich mich total freuen würde.“ Und als ich dann das Buch vorliegen hatte, hat sich das auch bewahrheitet. Ich habe das als Geschenk empfunden.
Diese Geschichte, diese Art von Dialogführung, Rhythmus, Tempo, diese Fallen, in die Figuren tappen – die durchweg liebenswert gezeichnet sind – das fand ich einfach toll.
Und dann kam die Regie auch noch dazu. Beziehungsweise: Die Regisseurin Francis Meletzky hat mich überhaupt erst ins Spiel gebracht. Mit ihr habe ich schon bei zwei, drei Filmen zusammengearbeitet. Das ist immer eine sehr herausfordernde und sehr liebevoll-herzliche Arbeitsbeziehung, die ich mit ihr habe. Es waren dann so viele Komponenten, die da zusammenkamen, dass ich mit Freuden „Ja“ gesagt habe. Ich fühlte mich tatsächlich geehrt und musste nicht lange überlegen.
Ich finde das schön, dass du etwas ansprichst, worüber viel zu wenig gesprochen wird – dass man eben auch schaut, mit wem man gern mal zusammenarbeiten möchte. Ich finde das ganz normal, aber es redet kaum jemand darüber.
Ich weiß gar nicht, warum darüber so wenig geredet wird. Vielleicht ist es auch so eine falsch verstandene Bescheidenheit, oder man kokettiert damit? Ich weiß es nicht. Aber wenn ich Leute spannend finde, dann kann man ihnen doch signalisieren, dass man total Lust auf eine Zusammenarbeit hat. Da muss man ja kein Fantum generieren, aber man kann doch sagen: Ich bewundere dich, ich finde toll, was du machst, und ich würde mich aus großer Neugier und Lust an der Zusammenarbeit hier mal ins Spiel bringen. Ich stelle, während ich das sage, aber auch fest, dass ich das noch viel zu selten mache. [Er lacht]
Ob das an der Bescheidenheit liegt? Ich kann mir auch vorstellen, dass es eine Angst ist, dass einem das negativ ausgelegt werden kann, wenn man so aufmacht. Es geht doch in den Medien leider auch oft genug darum, den Schein zu wahren und zu suggerieren, dass alles super läuft und man alles im Griff hat.
Ich war beim Sommerfest der Film- und Medienstiftung in Köln – ein sehr warmes, herzliches Fest. Da gehe ich wahnsinnig gern hin. Man trifft viele Kolleg*innen. Da findet das tatsächlich weniger statt. Aber ich weiß um diesen Unterschied.
Es gibt Begegnungen, da denkt man: „Stapel mal ein bisschen tiefer, das täte uns allen gut.“ Aber die Begegnungen, die mir am meisten bedeuten und die mir lange in Erinnerung und im Herzen bleiben, sind tatsächlich die, wo wir übers Leben reden. Über das, was neben der Branche passiert. So lernt man den Menschen kennen.
Miteinander Drehen und auch die Auseinandersetzung miteinander, das ist ja vor allem auch Lebenszeit. Dieses Behaupten von Stärke und Verschlossensein, dieses nichts von sich preisgeben wollen: Ich finde das immer hoch bedauerlich.

Ich bin davon überzeugt, dass Sich-Öffnen der Schlüssel in dieser immer komplizierter werdenden Welt ist. Denn wir brauchen den Austausch, wir brauchen das Wissen: Der andere kennt meinen Schmerz. Vielleicht nicht genau denselben, aber einen ähnlichen.
Man glaubt ja, dass einen das Nicht-Sagen vor Schmerz schützt. Man gibt Schwächen so ungern zu. Meine Erfahrung ist, dass Leute dieses Öffnen als Geschenk empfinden, in dem Sinne, dass sie denken: „Ah, jetzt kann ich mich auch öffnen, und der tut mir nichts.“ Man verliert sich ja nicht – im Gegenteil.
Die Erfahrung muss jeder selbst machen, aber ich habe gemerkt: Je mehr ich mich öffne, umso wertvoller empfindet das mein Gegenüber. Da findet eine Form von Austausch statt.
Jetzt sind wir schon beim Thema Offenheit. Dein Lennart ist ja nicht besonders offen.
Nee. Aber er macht ja eine Entwicklung in diesem Film durch. Am Ende überdenkt er bestimmte Sachen, erinnert sich daran, dass er ein bisschen achtsamer seiner Beziehung und seinem Sohn gegenüber sein muss. Er hat einiges aus dem Blick verloren, auch sein eigenes Leben.
Er muss sich neu suchen, muss sich neuen Herausforderungen stellen. Da ist er am Anfang etwas stoffelig unterwegs. Am Ende ist seine Beziehung sehr fragil, wirkt bedroht. So habe ich das beim Spielen wahrgenommen. Die stellen sich auch als Paar infrage. Da wäre der zweite Teil dann vielleicht der, in dem sie sich noch mal neu erfinden oder neu finden in der Beziehung. Dass sie wachsamer sind. Ich empfinde Lennart, wenn ich mir den Film angucke, am Ende auch als wacher als am Anfang des Films.
Ich fand auch, dass er sich noch mehr um die Beziehung bemüht hat als seine Frau. Sie geht, vielleicht auch aufgrund ihres Jobs, in die Führung und nach vorn, und er läuft nur mit. Da findet ja auch kaum noch Kommunikation statt. Ich fürchte, dass viele Paare, die lange zusammen sind, genau das kennen. Hast du einen Tipp für langjährige Beziehungen, wie man nicht in diese Sprachlosigkeit rutscht?
Das Einfachste ist: miteinander reden, der Sprachlosigkeit begegnen. Das kann man lernen – dass man sich zehn Minuten am Tag die Zeit nimmt und fragt: Wie geht’s dir? Was machst du, wo bist du? Das ist die kurzfristige Maßnahme, die man treffen kann. Da muss man auch dranbleiben und das immer wieder machen. Das vergisst man gern aus Müdigkeit oder Bequemlichkeit, von der man meint, dass man sie sich in diesem vertrauten Umfeld leisten kann.
Und das andere, längerfristige, ist, dass jeder für sich guckt: Wo sind meine Träume, meine Ziele? Wo ist mein Ehrgeiz, was will ich in meinem Leben erreichen? Diese Erkenntnisse kann man dann als Mehrwert an Gelerntem wieder mit in die Beziehung bringen. Das finde ich am wertvollsten. Im kleinen Rahmen sind das die Hobbys, die ich für mich neu entdeckt habe. Oder Lernstoffe, mit denen ich mich auseinandersetze. So verliert man sich nicht im Zusammensein. Ich bin total neugierig auf meine Frau, wenn sie außerhalb der Beziehung Sachen für sich macht.
Ich kenne viele andere Modelle, wo man wahnsinnig stolz ist, wenn man ganz viel Zeit miteinander verbringt. Da machen sie alles zusammen, und das wird auch mit einem gewissen Stolz erzählt. Da merke ich: Das wäre so gar nicht meins. Für mich fühlt sich das wie auf der Stelle treten an. Man tritt den Boden immer tiefer – und dann kommt man da gar nicht mehr raus aus diesem gemeinsam geschaffenen Kreis, den man sich da getrampelt hat. Das wäre eine Gefahr für mich.
Da gehe ich auf jeden Fall mit, mir geht’s da wie dir. Ich bin auch dafür, dass Partner*innen eigene Interessen haben, über die sie sich dann austauschen können. Das ist in „Ein ganz großes Ding“ ja auch auffällig. Einen großen Freundeskreis gibt es bei dem Paar nicht – da hat jeder nur eine andere Person an der Seite. Der Austausch außerhalb der Beziehung ist sehr begrenzt. Dabei sind Freundinnen toll, und Freundschaften sind so wertvoll.
Deswegen die Frage: Hast du einen Tipp, wie man auch jenseits der 40 noch Freund*innen finden kann?
Das ist tatsächlich schwer, ja. Mein Appell an mich ist: Wirf dich in neue Umfelder. Aber vielleicht auch erst mal mit den Beziehungen beginnen, die man hat. Pflege die Freundschaften, die du hast. Das kann ein Anruf sein mit der Frage, ob man zusammen einen Kaffee trinken gehen will. Wir unterschätzen solche Gesten ja oft. Ein Austausch mit Leuten außerhalb der Beziehung kann wahnsinnig wertvoll sein.
Ein zweiter Tipp ist, sich neue Umfelder, neue Interessen zu schaffen. Ich z. B. habe vor einem Jahr mit dem Boxen angefangen. Da steht man dann auch erst mal mit Ende 40, Anfang 50 da und hat ganz viele Vorstellungen, wie das wohl sein könnte. Und ja, man muss sich auf einmal mit einem völlig neuen sozialen Umfeld auseinandersetzen.
Da kann man es sich natürlich auch wahnsinnig leicht machen und sagen: „Nee, das ist dann doch nichts für mich, ich setze mich lieber zu Hause auf die Rudermaschine.“ Aber wenn man den Mut für die Erweiterung des geistigen Horizonts hat, dann probiere etwas Neues. Es kann ja auch eine Wandergruppe sein, die durch die Eifel rennt. Es ist allemal gewinnbringender, als zu Hause nur irgendeinen Reiseführer zu lesen.

Wie verhindert man denn in der Beziehung Eifersucht? Denn sich gegenseitig Freiheiten geben, neugierig sein, wenn der andere neue Erfahrungen und Begegnungen macht, kann ja auch in Eifersucht enden. Bei Kristina & Lennart im Film ist auch das ja plötzlich ein Thema.
Eifersucht war oft ein schmerzhaftes Thema in meinem Leben.
Schmerzhaft für mich, noch schmerzhafter für das Gegenüber, weil man ja die eigene Pein auch noch auf den anderen überstülpt. Da entsteht oft ein wahrer Teufelskreis aus Vorwürfen, Anschuldigungen, Ungerechtigkeiten. Es hat mich etwas Zeit, zwei Beziehungen und jede Menge Mut gekostet, dem auf den Grund zu gehen.
Den Weg möchte ich hier garnicht nachzeichnen, aber die zwei wichtigsten Erkenntnisse waren für mich: Es hat erstens zu 98 % mit dem eigenen Selbstwert zu tun. Und Du kannst, zweitens, nichts festhalten, kein Gefühl, keinen Menschen – also lass los, je früher, desto besser!
Seit ich diese beiden Dinge berücksichtige, mich also stärke und dem Partner Raum gebe und diesen Raum als Geschenk und nicht als Kompromiss betrachte, gibt es keine Eifersucht mehr, zumindest keine, die mir oder anderen Sorgen bereitet.
Kristina und Lennart waren nicht wirklich eifersüchtig, eher verunsichert, weil plötzlich alles so porös zu sein scheint und sich dadurch der Blick auf den anderen ändert – eigentlich ganz gesund.

Mutig sein, sich auf Begegnungen einlassen, da sind wir wieder beim Anfang des Interviews. Ich bin überzeugt davon, dass, wer sich mutig auf neue Erfahrungen einlässt, in den allermeisten Fällen belohnt wird. Wie oft denkt man denn: Oh Gott, das hätte ich besser sein gelassen!
Und selbst wenn das die Erkenntnis ist, dann hast du auch wieder was gelernt. Der Mut, auf einen anderen Menschen zuzugehen, kann dich nur reicher machen. Auch eine Enttäuschung bereichert und ist lehrreich. Das ist jedenfalls meine Erfahrung. Jedes neue Gesicht, jede neue Begegnung ist tatsächlich ein Geschenk. Es klingt esoterischer, als ich meine. [Er lacht]
Das ist gar nicht esoterisch. Es ist eine Wahrheit, die wir alle fühlen, aber wir sprechen nicht oft genug darüber. Und dann haben wir Angst, wenn wir drüber reden, werden wir in eine komische Ecke gestellt. Dabei hast du doch total recht: Es ist ein Geschenk, Menschen zu begegnen und in den Austausch zu gehen.
Da gebe ich dir recht. [Er lacht]
Man versucht, sich zu entschuldigen, bevor man in so eine Ecke geschoben wird. Aber im Grunde sind es ganz essenzielle Sachen, über die wir reden. Man verlernt auch, darüber zu sprechen. Umso schöner, wenn man dann jemanden entdeckt, dem es offensichtlich auch so geht.
Was inspiriert dich?
Mich inspiriert alles, was meinen Horizont erweitert und mich herausfordert. Vor allem Begegnungen mit Menschen, die einen mir unbekannten Blick auf alle Faktoren des Lebens haben.
Das kann die Autorin eines Buches, der Gesprächspartner in der Bahn, die Kollegin am Set, die flüchtige Begegnung auf der Strasse oder ein fünfstündiger Podcast sein.
Meine Freunde und meine Kinder inspirieren mich auch sehr, gerade die Kinder können auf so unbedingte, direkte und oft lustige Art Dinge in mir anstoßen und Prozesse auslösen, die mich manchmal sehr überraschen.
Als ich mich zum Beispiel einmal von vielen Menschen schlecht behandelt gefühlt habe und etwas viel rumgegreint hatte, sagte meine damals sechsjährige Tochter: “Du hast nur einen Feind. Dich selbst.” Keine Ahnung, wo sie das her hatte und es klang nicht aufgesagt, sondern wie ein in ihrem Kopf verfertigter Gedanke. So wahr, so schön, so lustig.
„Ein ganz großes Ding“ könnt ihr ab sofort in der ZDF Mediathek schauen, oder am 31. Juli 2025 um 20:15 Uhr live im ZDF.
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