Anfang des Monats konntet ihr ja schon das Interview mit Melanie Marschke lesen, jetzt kommt ein weiteres „SOKO Leipzig“ Urgestein zu Wort. Wobei, wir müssen alle ganz tapfer sein: In der 26. Staffel steigt Marco Girnth aus der Serie aus. Bevor wir auf dieses Thema zu sprechen kommen, ging es aber viel um Marcos Leidenschaft für Film und Kamera, die SOKO Leipzig im Allgemeinen und wie sich unsere Sehgewohnheiten auch inzwischen verändert haben.
Und dann sprachen wir natürlich auch über Marco Girnths Abschied nach 25 Jahren. Über die Beweggründe, die dazu geführt haben und über seine Pläne für die Zukunft. Um mal Marcos Antwort aufzugreifen: Was habt ihr eigentlich noch nie gemacht?
Was macht für dich „SOKO Leipzig“ aus?
Marco Girnth: Das Team. Unser Teamgeist, unsere Freundschaften, das ist alles echt. Ich hoffe, man spürt, wie sehr das Team sich mag, dass sie sich stützen, wenn sie mal Probleme haben. Ja, sie gehen sich auch mal an, aber im tiefsten Inneren ist das ein Team, das an einem Strang zieht.
Krimis gibt es in Deutschland ja einige, da sind wir keine Neuerfindung. Aber die Interpretation, wie unser Team aufgestellt ist, ich hoffe, dass wir da etwas Einzigartiges gefunden haben, das uns für die Zuschauer ausmacht.
Geht dir das auch so, dass du immer mal von der Auflösung eines Falls überrascht bist, weil du mit einem anderen Täter, einer anderen Täterin gerechnet hast?
Ich lese die Drehbücher gerne wie einen Krimi, bei dem man von Anfang an miträtselt. Ich bin da auch gespannt, wie es ausgeht. Oft genug vermute ich dann auch falsch. Und dann gibt es Momente, in denen ich denke: Ach, komm, dich hatte ich eh schon die ganze Zeit auf dem Zettel.
Es ist im Krimi ja oft eine doppelte Logik, dass man den, der die meisten Verdachtsmomente auf sich zieht, nicht vermutet, weil er einfach ZU verdächtig ist. Manchmal ist der dann der Täter, manchmal nicht. Deswegen bin ich oft selbst überrascht.

Was macht einen Krimi für dich zu einem guten Krimi?
Ich bin grundsätzlich bei einem filmischen Krimi erst einmal an der filmischen Arbeit interessiert. Ich brauche gute Bilder, ich will verzaubert werden. Die Bilder müssen für mich bigger than life sein, es muss atmosphärisch dicht sein. Ich mag es fast lieber, wenn es ein bisschen dunkler erzählt wird, ein bisschen geheimnisvoll.
Für mich war der Sprung von analoger Aufnahmetechnik zu digitaler ein harter Cut. Das war für mich zu deutlich, zu präzise. Ich mochte das alte Bild und merke, dass man inzwischen auch wieder versucht, das digitale Bild dahin zu drücken.
Die Bildsprache im Krimi muss also stimmen. Parallel dazu muss die Story überraschend sein. Sie muss mich mitnehmen in ein Milieu, das mir unbekannt ist, muss mir interessante Figuren vor Augen führen, die vielleicht auch ambivalent sind. Menschen, deren Verhalten ich ablehne, denen ich aber vom Herzen nachempfinden kann, warum sie so handeln. Das finde ich toll, sowas mag ich.
Wenn du sagst, du magst es düster, meinst du dann diese Krimis, bei denen man eigentlich nichts mehr sehen kann und es eher ein Hörspiel ist?
Naja, man kann alles übertreiben. Wenn es so dunkel wird, dass du nichts mehr siehst, kannst du den Film vielleicht auch nicht mehr verstehen. Ich mag es schon, wenn es etwas verwaschen ist. Wir haben auch einige Folgen gehabt, die in diese Richtung gingen.
Es ist ja ein bisschen doof, sich selbst zu loben, aber ich finde, wir haben wirklich tolle Kameraleute. Das macht mir so wahnsinnig viel Spaß am Set. Du stehst da und guckst auf das Setting und dann gehst du zum Kameramann und guckst dir das noch unbearbeitete Bild an und es sieht un-gegradet schon so beeindruckend aus. Du hast eine offene Blende, du hast geringe Tiefenschärfe. Im Hintergrund kommt der Verdächtige in der Unschärfe. Du siehst nicht alles, was du im Realen richtig einsortieren könntest. Da bekommt die Serie durch die Kamera eine ganz eigene Dramaturgie. Sowas finde ich toll.
Wenn ich noch mal starten dürfte, auf Kamera hätte ich auch Lust. [Er lacht]

Naja, die Chance könnte sich ja auftun, denn du verlässt nach 25 Jahren die „SOKO Leipzig“.
Es ist eine persönliche Entscheidung. 25 Jahre, das ist ein Vierteljahrhundert! Als wir angefangen haben, habe ich gesagt, dass ich das so drei, vier Jahre machen werde. Das war auch die Sehgewohnheit in den 90er-Jahren, da wurden Serien für diese Zeitspanne gemacht.
Plötzlich waren zehn Jahre um und es hat immer noch Spaß gemacht. Wir haben so viele tolle Sachen spielen dürfen, für die du dich außerhalb der Serie lange hättest strecken müssen. Also habe ich weitergemacht und gedacht: Okay, noch fünf Jahre. Dann waren 15, dann 20 Jahre rum.
Und dann ist etwas passiert, das mir die Endlichkeit des Lebens wieder bewusst gemacht hat. Wir verdrängen das ja alle immer ganz gut.
Bevor wir darüber sprechen, was passiert ist, würde ich gern noch wissen, wie der letzte Drehtag für dich war?
Mir ist das Herz gebrochen, obwohl mir klar war, was passiert. Schon die letzten Drehwochen waren sehr hart. Es kam immer wieder in Wellen, dass ich plötzlich wieder weinen musste. Ich habe meine Kollegen angeguckt und konnte gerade noch ganz gut drüber reden, und plötzlich kamen mir die Tränen. Es war wirklich eine sehr aufwühlende Phase, weil mir immer bewusst war: Das ist das letzte Verhör, die letzte Verfolgungsjagd, die letzte Teamrunde. Ich gehe das letzte Mal in die Maske. Das war alles nicht so leicht.
Wirst du „SOKO Leipzig“ privat treu bleiben und weitergucken? Oder ist der Job vorbei und du triffst deine Kolleg*innen privat?
Natürlich gucke ich mir das an! Und von dem, was ich gehört habe, haben sich die Kollegen selbst übertroffen. Da sind ganz tolle Folgen entstanden, die ich natürlich sehen will.
Ich glaube, dass die SOKO Leipzig noch eine goldene Zukunft vor sich hat, da mache ich mir die nächsten zehn Jahre überhaupt keine Sorgen, trotz sich wandelnder Medienlandschaft. Es gibt, nach allem, was ich gehört habe, viele tolle Ideen, das wird immer weiterlaufen.

Schaust du dir deine Arbeiten eigentlich an, oder guckst du nichts, wo du mitspielst?
Ich schaue eher in der Mediathek, weil ich am Freitagabend oft gar keine Zeit habe. Aber ich schätze, ich habe 95 % der Folgen gesehen. Ich bin aber nicht besonders gut im Schauen des eigenen Materials. Ich kann mich schwer auf den Fall konzentrieren, weil ich zu sehr bei meiner eigenen Performance bin. Ich gleiche ab, ob das, was ich mir in der Szene vorgestellt hatte, sich mit dem deckt, wie es geworden ist. Ist es besser oder schlechter? Ich bin da sehr abgelenkt und muss Sachen deswegen mindestens zweimal sehen.
Ich verstehe den Impuls von Kollegen, sich nichts anzuschauen, aber ich will wissen, in welchem Format ich da eigentlich spiele. Wie wirkt die Geschichte? Funktioniert das fürs Publikum? Beim zweiten Ansehen bin ich dann in der Rolle des Zuschauers. Beim ersten Mal kann ich mich wirklich nicht davon lösen, auf meine Performance zu achten, danach kann ich es pauschaler gucken.
Hast du eigentlich das Gefühl gehabt, du warst auf die Rolle Jan Maybach festgelegt?
Ich glaube, das mit dem Festlegen war früher anders. Bis in die 90er-Jahre hinein war es so: Da hattest du eine Serie, und die haben alle gesehen, weil es keine andere Ablenkung gab. Da gab es 25 Folgen pro Jahr, und dann warst du „Derrick“ oder der Kapitän vom „Traumschiff“ oder „Der Alte“. Da waren wir so konditioniert. Heute ist man da nicht mehr so festgelegt.
Es ist immer toll, wenn man auch mal woanders mitspielen darf. Das ging bei SOKO Leipzig manchmal, aber ich habe da schon in einem sehr engen Korsett gesteckt.
Gleichzeitig ist es im Vergleich zu vielen anderen Schauspieler*innen eine sehr privilegierte Position gewesen: ein gesichertes Einkommen, ein Job, den du jahrelang machen konntest …
Ich will auch nicht undankbar klingen. Es ist wirklich ein absolutes Geschenk und nicht selbstverständlich. Sonst ist es ja oft so, dass du bei einem Film mitspielt, eine kleine Rolle und fünf, sechs Drehtage hast und dann sofort wieder arbeitslos bist. Dann geht das Klinkenputzen wieder los, und du musst gucken, wie es passt. Gehst zum nächsten Casting, bekommst die Rolle oder eben nicht. Es ist auch nicht so, dass du, nur weil du beim Casting gut gespielt hast, die Rolle auch bekommst. Es ist nicht wie im Sport, wo der, der am schnellsten rennt, sich auch fürs Finale qualifiziert. Es spielen so viele Sachen mit rein, die entscheiden, ob du die Rolle bekommst. Das muss gar nicht an dir selbst liegen.
Wir reden hier über ein visuelles Medium, da kann es immer passieren, dass du zu groß, zu klein, zu dick, zu dünn, zu blond, zu blauäugig, zu alt oder zu jung bist. Es muss passen, und es passt nicht immer mit dir. Der Job ist sehr unsicher. Und man kann sich sehr glücklich schätzen, wenn man eine gewisse Stetigkeit reinbekommt.
Lass uns bitte noch mal auf deinen Ausstieg zurückkommen. Du hast gesagt, es ist etwas passiert, was den Weggang aus der Serie in dir angestoßen hat. Was ist denn passiert?
Als ich 50 war, ist ein guter Freund von mir gestorben, von jetzt auf gleich. Plötzlich wurde konkret fühlbar, wie endlich das alles ist. Und da ziehst du Bilanz und überlegst dir: Was mache ich mit meiner Restzeit?
Es geht ja auch darum, wie du selbst das Leben betrachtest, was für dich wichtig ist und wie du dich definierst. Bei mir geht das ein bisschen über Neugierde und über meine Physis. Ich will gerne noch wandern, ich will noch surfen lernen, ich will mit dem Rucksack durch Brasilien reisen können …
Wir waren gerade fünf Wochen in Italien campen und das war schon etwas rougher. [Er lacht] Da ist nix mit Fünf-Sterne-Hotel, auf der Liege liegen und ein Buch lesen. Das ist anders, und da musst du ein gewisses Mindset für haben. Und ich möchte das gern noch öfter erleben. Ein Freund von mir, der vier, fünf Jahre älter ist als ich, meinte zu mir: Pass auf, wir haben jetzt noch zehn gute Restsommer! Wir wollen Kitesurfen, wir wollen Reiten. Wenn wir das machen wollen, müssen wir es jetzt machen!
Ich liebe die SOKO Leipzig, ich liebe meine Kollegen. Ich merke jetzt schon, dass sie mir fehlen. Ich treffe mich mit ihnen, telefoniere fast jeden Tag mit ihnen, aber wir sitzen nicht mehr im gleichen SOKO-Boot. Das bricht mir ein bisschen das Herz. Auf der anderen Seite merke ich aber, dass Denkräume frei werden. Dass ich mir Sachen erlauben kann, die ich so noch nie in meinem Leben gemacht habe. Ich habe noch nie fünf Wochen Urlaub gemacht. Und selbst danach war ich noch nicht bereit, nach Hause zu fahren. Jetzt gibt es diese Möglichkeiten auf einmal.
Ich habe ja auch weiterhin Verpflichtungen. Ich freue mich sehr, dass ich neben der „Frühlings-Reihe“ auch noch bei der „Praxis mit Meerblick“ dabei sein darf. Aber ich kann jetzt auch sagen: Lass uns im Winter für zwei, drei, vier Monate nach Kolumbien reisen. Das finde ich gut, das wollte ich spüren und erleben.
„SOKO Leipzig“ läuft seit dem 03.10.2025 wieder um 21:15 im ZDF. Ihr könnt die Serie außerdem in Web und App vom ZDF anschauen.

Schreibe einen Kommentar