Katty Salié im Interview mit Andrea Zschocher zu "aspekte"

Katty Salié: „Es muss gesellschaftsfähig sein, über Gefühle zu sprechen“

Auf das Interview mit Katty Salié habe ich mich sehr gefreut, weil sich die Journalistin und Moderatorin hauptberuflich mit einem Thema auseinandersetzt, das mich auch immer umtreibt: Kultur. Und bevor ihr jetzt wegklickt, weil ihr sagt, dass ihr damit nichts zu tun habt, nehmt dieses Interview als Einladung.

Denkt über euren Kulturbegriff nach, darüber, was das für euch beinhaltet. Denn, wie Katty ja so richtig sagt: Es geht nicht um ein Ausspielen von Hoch-. Pop-, oder Subkultur. Was euch inspiriert, ist so unterschiedlich wie wir eben alle sind. Deswegen freue ich mich auf euer Feedback zur Frage: Was ist Kultur für euch?

60 Jahre „aspekte“ – Wow! Was macht „aspekte“ für dich aus? Du bist ja auch schon über 10 Jahre dabei.

Katty Salié: Ich bin seit 12 Jahren dort und finde, wir sind ein herrlich bunter Haufen, der super kreativ an die Themen herangeht und sehr leidenschaftlich dabei ist. Wir sind eine Redaktion voller Workaholics und mit sehr viel Herzblut dabei. Wir geben alles, um ein Thema so tiefgründig zu beackern, wie es nur irgendwie geht. Genau das macht „aspekte“ für mich auch aus, diese große Neugier, die befriedigt werden soll.

Wir können natürlich trotzdem in 45 Minuten nie ein Thema komplett abbilden. Aber wir sind da schon gut dabei, finde ich.

Ich schaue „aspekte“ privat sehr gern, würde aber gern mal über den Sendeplatz reden. „aspekte“ hat doch ein viel größeres Publikum verdient. Wir können doch nicht Kultur erlebbar machen wollen und dann einen Sendeplatz am Freitag um 23:30 Uhr anbieten.

Ja, das sehe ich auch so. Wenn wir irgendwo auf einem Dreh sind, dann kommt auch immer jemand und sagt: „Ich gucke aspekte total gerne …“ und dann kommt der Nachsatz: „… aber müsst ihr so spät laufen?“ Das ist wirklich immer so!

Wir werden leider als eine Art Nischenprodukt verkauft, obwohl Kultur ja eigentlich nie Nische ist. Wir haben über all die Jahre eine stetig gute Quote. Natürlich ist die nicht mit einem Fußballspiel oder einem tollen Krimi vergleichbar, aber sie ist stabil. Ich denke, würden wir früher laufen, hätten wir auch eine bessere Quote. Denn so würden mehr Leute „aspekte“ einschalten können.

Ich würde Freitagabend auch keine Kulturreportage schauen, egal wie gut sie ist. Weil ich entweder selbst unterwegs bin und Kultur erlebe, oder weil ich schlafe. Weil es sicher vielen so geht, kann ich an der Stelle auch nur sagen: Danke an die Mediathek. Hier sind wir auch schwer zu finden, aber es ist möglich.

Interview mit Katty Salié zu 60 Jahre aspekte mit Andrea Zschocher
© ZDF / Andreas Pein

Du hast gerade gesagt, dass Kultur keine Nische ist. Da würde ich gern anknüpfen, denn der Vorwurf, auch an „aspekte“, ist doch schon oft der, dass Kultur eher ein Elfenbeinturm ist, der viele ausschließt. Wie können wir Leuten diese Angst nehmen?

Indem wir kulturelle Themen und auch Gesellschaftsthemen so aufbereiten, wie wir es bei „aspekte“ tun. Ich finde, dass „aspekte“ überhaupt gar nichts mehr von einem Elfenbeinturm hat. Dass es im Gegenteil eher wie in einer großen Aula ist, wo alle sich begegnen können.

Man muss keine knifflige Treppe Richtung Elfenbeinturm überwinden, sondern einfach nur einen Schritt durch die Tür gehen. Ich glaube, dass Leute wie Jo Schück, Salwa Houmsi und ich vielleicht auch die Richtigen sind, um die Sendung zu präsentieren. Wir sind die Gesichter der Sendung und auch voll involviert in die Themenfindung. Wir brennen, wie alle anderen Redaktionsmitglieder,  für diese Themen und haben alle einen Bezug zu Kultur.

Auch wenn ich den Begriff fragwürdig finde, weil er so negativ konnotiert ist, nutze ich ihn aus Mangel an Alternativen hier: Ich komme aus einer „bildungsfernen“ Familie. In meiner Familie hätte niemand „aspekte“ geschaut. Da gab es „Lindenstraße“, Fußball und wenn es hochkam mal die „Tagesschau“. Ich kenne also die Ängste, die du ansprichst, weil ich sie in meiner Jugend selbst auch hatte. Ich dachte: „Oh Gott, ich kann niemals in ein klassisches Konzert gehen, weil ich gar nicht weiß, an welcher Stelle ich klatschen soll.“ Meine Eltern sind auch nie ins Theater gegangen, ich war nur mit der Schule da. Für mich war das jedes Mal so erweckend und inspirierend, dass ich damals Blut geleckt habe für diese Art von Themen. Ich bin auch über Popkultur dahingekommen, dass man sich natürlich alles trauen kann.

Kultur ist von Menschen für Menschen gemacht. Warum sollte man da Ängste haben und die Schwelle nicht überwinden können? „aspekte“ kann dabei ja auch helfen, dass wirklich jeder da mal reinstolpern kann.

Wie kann dieses Reinstolpern denn noch gelingen? Was ist deiner Meinung nach ein guter Ansatz für kulturelle Bildung in jedem Alter? Ich mag an Kultur, dass man immer wieder überrascht wird, wenn man sich darauf einlässt.

Kultur ist mit Emotionen verbunden, und das sollten wir nutzen. Ich finde es sowieso wichtig für unserer Gesellschaft, dass wir Emotionen mehr zulassen. Man sollte das nicht immer so abtun, sondern dafür sorgen, dass Fühlen wieder erlaubt wird. Es muss gesellschaftsfähig sein, über Gefühle zu sprechen. Kultur bereitet da einen tollen Boden.

Man kann sich darin treffen und über seine verschiedenen Gefühle sprechen. Ein Kunstwerk kann in verschiedensten Menschen etwas völlig Unterschiedliches auslösen. Sich darüber auszutauschen, das finde ich, ist eine Art von Bildung und auch eine Art von Begegnungsmöglichkeit über Kultur. Das erlebt man auch in Konzerten: Da kommen Leute aus ganz unterschiedlichen Lebenswelten wegen der einen Künstlerin, des einen Künstlers, der einen Band zusammen. Das können sie miteinander teilen. Jeder fühlt bei jedem Song was anderes. Ich finde das total bereichernd und durchaus bildend.

Katty Salié im Interview mit Andrea Zschocher zu "aspekte"
© ZDF / Andreas Pein

Danke für das Beispiel mit der Band. Denn ich möchte, dass Menschen verstehen, dass Kultur ganz unterschiedliche Dinge sein kann. Kunst muss nicht nur in einem Museum stattfinden. Ich finde diese Hemmschwelle, die manche Menschen haben, weil sie Sorge haben, nicht die vermeintlich richtigen Worte zu finden für Dinge, die sie berühren, die ist hoch. Und es muss auch nicht immer das „Literarische Quartett“ sein. Wenn jemand Spaß an Rosamunde-Pilcher-Romanen hat, dann ist das doch auch ok.

Ja, es muss nicht nur Hochkultur sein. Es ist wichtig, Kulturschaffende ernst zu nehmen. Und die, die sie konsumieren. Ich würde niemals die Pop- oder die Subkultur gegen die Hochkultur ausspielen. Ich hasse dieses Schubladendenken!

Wenn man mir früher gesagt hätte, dass ich irgendwann als Journalistin in einer Kultursendung agiere, dass ich u. a. zu den Salzburger Festspielen fahre, das hätte ich nie geglaubt. Mit 15 hätte ich den Leuten einen Vogel gezeigt. [Sie lacht]

Ich habe mich da nie gesehen, weil ich mich selber in Schubladen eingeteilt habe, ganz im Sinne des Klassismus. Ich komme auch aus einer Familie, die mit Kultur wenig anfangen konnte. Ich bin mir ganz sicher, dass meine Mutter nie ins Theater gegangen ist, weil sie sich total deplatziert gefühlt hätte. Mit meinem Vater bin ich manchmal ins Naturkundemuseum gegangen, aber vor allem, weil er zu den Tieren einen Bezug herstellen konnte. Zur Kunst konnte er das nicht. Da hat er sich dann vielleicht zu klein gefühlt. Aus dieser Schublade komme ich.

Ich habe keine Lust mehr auf dieses Schubladendenken. Und ich mag das an „aspekte“, dass wir heute dagegen angehen. Das war nicht immer so, keine Frage. In 60 Jahren ist da viel passiert. Ich bin froh, dass wir das weitestgehend hinter uns gelassen haben und wirklich schauen, was Künstler*innen und Kulturschaffende beitragen können, um ein Thema besser zu verstehen, um es von verschiedenen Blickwinkeln aus zu beleuchten. Wir schauen da nicht drauf, aus welchem Bereich die kommen, sondern auf das, was sie tun. Es ist doch toll, dass Menschen Kunst machen, Kultur schaffen, Gesellschaft gestalten.

Gibt es ein zeitgenössisches Thema, das dich gerade besonders umtreibt? Eines, wo du sagst, dass wir da mehr Fokus draufsetzen müssten?

Etwas, das wir mehr zeigen sollten, ist, dass Kultur auch Macht hat. Und dass viele Menschen Kultur aktuell als gefährlich empfinden. Wir sehen das beispielsweise daran, wie die Trump-Regierung gegen Kulturschaffende und auch Museen vorgeht. Da greift die Zensur um sich und die Kultur wird eingedämmt. Ich finde, dass wir da sehr wachsam sein müssen.

Interview mit Katty Salié zu 60 Jahre aspekte mit Andrea Zschocher
© ZDF / Andreas Pein

Du kämpfst da auch an vorderster Front mit.

Es ist tatsächlich auch ein Kampf. Wenn wir da über Fördermittel reden, was da gekürzt wird. Wo spart man denn als Erstes? Immer an der Kultur!

Wir müssen das Bewusstsein dafür schärfen, dass genau da eben möglichst nicht gespart werden sollte. Es gab doch während der Pandemie auch immer diese Debatte um die Systemrelevanz. Kultur ist systemrelevant. Sie ist es nicht, wenn wir darüber sprechen, unser System am Laufen zu halten, sodass wir alle mit Lebensmitteln und Wasser versorgt sind und unser Dach überm Kopf haben.

Aber um als Gesellschaft bestehen zu können, ist Kultur definitiv systemrelevant. Kultur schließt uns Räume auf, in denen wir konzentriert Themen betrachten und uns begegnen können. Räume, in denen wir reflektieren können und in denen wir ganz frei darüber spinnen können, wie unsere Realität noch aussehen könnte. Dank Kultur können wir über den Status quo unserer Gesellschaft nachdenken. Und über uns selbst. Denn wir spiegeln uns in der Kultur ja immer auch.

Kulturräume sind Möglichkeitsräume. Wer Kulturräume einspart, kürzt auch Möglichkeiten, und das ist ganz entsetzlich.

Hast du einen Kulturort, den du Menschen gern ans Herz legen willst? Ich meine damit gar nicht unbedingt einen bestimmten Ort, sondern eine Kulturmöglichkeit, die wir brauchen. Für mich ist Kino zum Beispiel ein Kulturort, ohne den ich nicht sein kann.

Das ist für mich definitiv auch so, ich gehe wahnsinnig gern ins Kino. Mir ist das Theater aber genauso wichtig. Hier kann versucht werden, einen Zustand stellvertretend durch Schauspieler auf einer Bühne abzubilden. Das Publikum folgt dem Ganzen gemeinsam, um dann Geschichten zu erspinnen, wie es stattdessen auch sein könnte. Das Theater ist für mich als Diskurs- und Möglichkeitsraum auch ganz wichtig.

Und etwas, das ich gerade erst wieder entdeckt habe, sind Festivals. Ich war für „aspekte“ auf dem Dockville-Festival, wobei wir das nur als eine Kulisse genutzt haben, um ein Thema abzubilden. Vor Ort habe ich dieses Festival total erspürt, weil da so viele unterschiedliche Menschen, jung und alt, zusammenkommen. Ich fand es toll zu sehen, wie friedlich die da vor den verschiedensten Bühnen standen, was da alles geboten war. Es gab verschiedene Organisationen von humanitärer Hilfe, die sich präsentiert haben, Bands, Jonglagekünstler … so viele Kulturschaffende und so viele Genres, Musiker*innen, die ich nicht kannte und als neue Entdeckung mitnehme. Da kam einfach alles zusammen.

Ich wünsche allen Menschen, dass sie mal auf ein Festival gehen. Ich habe da so viel Akzeptanz wahrgenommen. In meiner Jugend war ich da ständig, bin sogar sehr weit dafür gefahren. Mitschüler waren eher in der Disko, ich war auf Festivals. Und dann irgendwann nicht mehr. Nach dem Erlebnis jetzt habe ich gedacht, wie toll das ist, wie vielseitig, wer da alles zusammenkommt. Festivals haben es mittlerweile auch schwer, da wird auch viel gekürzt oder sie finden gar nicht mehr statt. Dabei ist auch das ein Begegnungsort, den wir erhalten müssen.

„aspekte“ könnt ihr jeden Freitag gegen 23:30 Uhr im ZDF schauen. Wenn euch das zu spät ist, findet ihr die Ausgaben auch jederzeit in der ZDF Mediathek.

Was sagt ihr, was ist Kultur für euch? Und wie findet sie in eurem Leben statt?


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