Interview mit Hannes Jaenicke zu Im Einsatz für den Oktopus

Hannes Jaenicke: „Es braucht mehr Leute in Führungspositionen, die etwas verändern wollen“

Mit Hannes Jaenicke über Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Politik zu sprechen, ist ein wilder Ritt. Weil sofort klar ist, dass diese Themen seine Passion sind. Ich mag das sehr, wenn Leute für etwas brennen, wenn sie schaffen, andere mit in ihre Welt zu nehmen. Hannes gelingt das ohne Zweifel, er möchte ein Umdenken in jeder und jedem von uns erreichen. Seit Jahren ist er dafür auch visuell mit seinen Dokumentationen unter dem Namen „Im Einsatz für …“ unterwegs.

Diesmal im Zentrum: Oktopoden. Ich kann ganz persönlich nicht verstehen, warum man diese Tiere isst, aber gut, das mag daran liegen, dass ich überhaupt keine Tiere esse. Die Doku könnt ihr euch ab sofort in der ZDF Mediathek anschauen. (Vielleicht auch mit euren Kindern, denn wie gesagt, ich finde Oktopoden maximal faszinierend)

Interview mit Hannes Jaenicke zu Im Einsatz für den Oktopus
©ZDF/ Markus Strobel / Tango Film GmbH Hannes Jaenicke beim Tauchen in Indonesien mit einer Großen Blauen Krake (Day Octopus) im Vordergrund

Wieso hast du dich diesmal für Oktopoden als Thema entschieden?

Hannes Jaenicke: Wir machen jedes Jahr drei Vorschläge ans ZDF, und der Oktopus war schon mehrfach dabei. Über dieses Tier kann man ganz wunderbar erzählen, was wir gerade mit den Ozeanen veranstalten. Wir wollten über Vermüllung, Überfischung, Klimakrise, Meereserwärmung sprechen und das zeigen. Der Octopus vulgaris, das ist der, den viele so gerne auf der Speisekarte bestellen, überlebt bis genau 27 °C Wassertemperatur im Mittelmeer. Da das Mittelmeer jetzt schon regelmäßig über 27 °C hat, stirbt dieses Tier.

Er wird außerdem gnadenlos überfischt. Wir haben in Krk, Kroatien mit einem der weltweit führenden Oktopusforschern gedreht. Hier leben diese Tiere eigentlich auch in großer Zahl. Wir haben in drei Tagen nur einen einzigen Oktopus gesehen. Und dem fehlte ein Arm. Der ist tagelang gar nicht aus seiner Höhle gekommen. Es gibt also Gebiete, da ist er einfach schon weggefischt.

Wir waren mit der Meeresschutzorganisation „Sea Shepherd“ an der griechisch-türkischen Grenze im Mittelmeer und haben dort Tausende Oktopusfallen rausgezogen. Es war in etwa jede zwanzigste besetzt mit einem Tier, das sich darin verstecken wollte. Wir haben die Oktopusse dann befreit und die Fallen zerstört. Unser Rekord waren 1683 Fallen an einem Tag. Und das während der Schonzeit, während es also komplett verboten ist, die Tiere zu fischen.

Wir überfischen die Meere, bis sie leer sind!

Interview mit Hannes Jaenicke zu Im Einsatz für den Oktopus
©ZDF/ Markus Strobel / Tango Film GmbH Kokosnuss-Oktopus in der „Lembeh Strait“ in Indonesien: Der kleine Oktopus ist berühmt dafür, aus Kokosnuss- oder Muschelschalen mobile Verstecke zu bauen.

Wir wissen, dass wir die Meere überfischen, und hören trotzdem nicht auf. Vielleicht liegt es daran, dass ich Vegetarierin bin, aber ich kann überhaupt nicht verstehen, warum man zu diesen intelligenten Tieren so grausam ist. Ich habe mal in Südkorea gelebt, da werden diese Tiere lebend auf Märkten verkauft, vor sich hin blutend.

Die Portugiesen, Griechen, Italiener und auch Spanier hängen dieses Tier nach dem Fangen auf die Wäscheleine und trocknen es. In einem Dorf in Oberbayern gibt’s einen Supermarkt, da wird zweimal in der Woche auf einem großen Schild „Pulpo mit Haut“ beworben. Mit Kreide ist da ein lustiger Oktopus aufgemalt. Das ist mir auch ein Rätsel, wie man die essen kann. Das sind eigentlich die intelligentesten und unerforschtesten Tiere dieses Planeten.

Aber Menschen essen auch Schweine aus der Massentierhaltung. Sie essen Hühner aus der Hühnerfarm, sie essen Rinder aus der Rinderfabrik. Das ist halt so. Deswegen machen wir diese Filme, damit die Leute kurz nachdenken, bevor sie im Supermarkt ihren Wagen füllen oder im Restaurant ihr Essen bestellen.

Wieviel Radikalität braucht es, damit Filme Menschen erreichen? Dass sie hingucken und verstehen und nicht einfach wegschauen und sagen: „Das hat mit mir nichts zu tun“?

Wir sind da nicht radikal. Wir zeigen im Film, warum die Tiere wichtig sind, wir machen das ausschließlich über die Forschung. Die künstliche Intelligenzforschung, die ganze Robotikforschung steckt Millionen in die Erforschung von Oktopoden.

Er hat in jedem Arm ein Gehirn und ein Hauptgehirn im Körper. Die Nahrung, die er aufnimmt, geht erstmal über das Gehirn. Man weiß ein bisschen was über die Anatomie. Aber man weiß überhaupt nicht, wie sich die Intelligenz eines solchen Tieres so schnell entwickeln kann. Der Octopus vulgaris, der auf der Speisekarte steht, hat eine Lebenserwartung von nur anderthalb Jahren.

In diesen anderthalb Jahren lernt er ohne jede Brutpflege, also ohne Mutter- oder Vatertier unfassbar viel. Die ganze KI-Forschung versucht das zu  verstehen. Die finanzieren ganze Lehrstühle, um diese Intelligenz zu erforschen.

Wie man also so ein unerforschtes Tier, das offensichtlich unglaublich intelligent ist, einfach mal so grillen oder frittieren kann, das leuchtet mir nicht ein.

Gibt es offizielle Oktopodenzahlen? Wissen wir, wie groß die Bestände sind?

Nein. Die kleinen, lokalen Fischer, die uns für den Film unterstützt haben, fangen wegen dem Longlining überhaupt nichts mehr. Longlines sind Fangleinen, die sind bis zu 30 Kilometer lang und werden auf einen großen Trawler gezogen. Dann ist dieses Gewässer leergefischt. Die Fischer haben berichtet, dass sie früher mit 5000 Fallen die gleiche Menge Oktopus gefangen haben wie jetzt mit 500.000 Fallen.

Da kann man sich in etwa vorstellen, wie sehr der Bestand zurückgegangen ist. Je weniger sie fangen, desto mehr Fallen werden im Wasser ausgelegt. Das ist die Logik der industriellen Fischerei.

Interview mit Hannes Jaenicke zu Im Einsatz für den Oktopus
©ZDF/ Markus Strobel / Tango Film GmbH Hannes Jaenicke (M.) nach dem Tauchgang in der „Lembeh Strait“ in Indonesien mit Tauchguide Rey (r.)

Hast du das Gefühl, dass eure Filme wirklich etwas verändern?

Wir haben vor ein paar Jahren einen Film über Lachse gemacht. Neulich hat mich eine Dame hier im Dorf angesprochen, sie schien zu Besuch gewesen zu sein, und meinte: „Herr Jaenicke, ich muss Ihnen das kurz sagen: Wegen Ihnen esse ich keinen Lachs mehr.“ Das höre ich oft.

Also ja, die Filme bewirken tatsächlich was. Der Film über die Oktopusse setzt überhaupt nicht auf Horror und Abschrecken, sondern im Gegenteil. Wir zeigen, was für ein unglaublich faszinierendes Tier das ist. Wenn ich nicht glauben würde, dass solche Filme etwas bewegen, dann würde ich sie  nicht machen.

Wie gehst du mit all dem Wissen um diesen Raubbau, den wir an der Natur betreiben, um?

Ich habe zwei Möglichkeiten: Ich kann mein Konsumverhalten ändern. Das habe ich weitestgehend getan, ich bin seit über 40 Jahren Vegetarier. Das Zweite: Ich kann Filme dagegen machen und Bücher dagegen schreiben. Da ich in den Medien arbeite, habe ich eine Plattform, die ich nutzen kann.

Am Ende kann man immer etwas tun. Wer an der Nordsee lebt, kann Beach-Clean-ups machen. Man kann sich in unzähligen Verein engagieren. Ich bin Mitglied von mehreren Umweltorganisationen. Vor vier Jahren habe ich eine eigene Stiftung gegründet, um etwas zu bewegen. Man kann sich beim BUND engagieren, beim LBV, bei Greenpeace, bei Sea Shepherd. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich zu engagieren. Und deswegen gebe ich auch die Hoffnung nicht auf, weil ich sehe, wie viele andere sich auch engagieren.

Bin ich zu radikal, wenn mir das zu wenig ist? Menschen schauen eure Filme, finden das kurz schlimm und leben doch dann weiter wie bisher, oder? Wir sind ja auch einfach alle wahnsinnig bequem.

Ich setze dem jetzt mal was entgegen: Vor zehn Jahren wurden in Deutschland pro Kopf 67 kg Fleisch pro Jahr konsumiert. Heute sind es 55 kg. Es geht also eindeutig zurück. Natürlich geht das nicht schnell genug, aber auch die Natur arbeitet langsam. Und der Mensch ist halt ein bequemes Gewohnheitstier.

Ich glaube, grundsätzlich haben Menschen verstanden, dass wir mit den Ressourcen, die wir haben, anders umgehen müssen. Die Einzigen, die das noch nicht begriffen haben, sind Politiker wie Friedrich Merz, Katharina Reiche, Julia Klöckner, Alois Rainer. Alice Weidel ist da auch ganz vorne dabei, ebenso wie Donald Trump. Die Politik will es nicht kapieren, weil sie glaubt, dass man mit Umweltschutz keine Wahlen gewinnen kann. Aber alle Leute, die jetzt bei 50 °C in der Türkei sind, bei 46 °C in Spanien, die vor drei Jahren an der Ahr und Erft alles verloren haben, die haben kapiert, dass sich etwas ändern muss.

Der Leidensdruck steigt langsam, aber sicher. Irgendwann werden wir agieren müssen. Besser wäre es, vorausschauend zu agieren. Das macht die Politik nicht. Dann müssen wir eben warten, bis es richtig scheppert, und dann versuchen zu retten, was noch zu retten ist. Im Moment sieht es so aus, als wäre das der Kurs der Politik.

Ich hatte neulich ein Treffen mit Leuten von der Münchener Rück [Munich Re], dem größten Rückversicherer der Welt. Die haben kapiert, was die Klimakrise bedeutet und wie viel teurer es wird, nichts zu tun, als jetzt vorzubauen. Das Gleiche gilt auch für die gesamte Klimaforschung. Es gibt viele Mittelständler, die sagen: Wir müssen nachhaltiger produzieren. Es sind nur die Politik und multinationale Großkonzerne, die sich mit Händen und Füßen wehren. Ich glaube, der Verbraucher, die Verbraucherin haben das längst verstanden. Sonst würde z.B. der Fleischkonsum nicht so zurückgehen.

Interview mit Hannes Jaenicke zu Im Einsatz für den Oktopus
©ZDF/ Markus Strobel / Tango Film GmbH Hannes Jaenicke (r.) und Peter Hammarstedt (l.) befreien einen Oktopus aus einer illegalen Falle; „Sea Shepherd“-Kampagne in Griechenland

Sind wir Verbraucher*innen denn wirklich das Zünglein an der Waage? Oder sind es eher die Global Player, die sich eben nicht bewegen wollen?

Es geht doch nur in kleinen Schritten. Ich habe den Luxus, einmal pro Jahr für etwa drei Monate nach Amsterdam zu dürfen, um den Amsterdam-Krimi zu drehen. Wenn du dir die holländischen Innenstädte anguckst, egal ob Leiden, Haarlem, Delft, Utrecht, oder Amsterdam, sind die alle autofrei. Das gibt es längst auch in anderen Ländern.

Finnland ist weltweit das Land mit den wenigsten Verkehrstoten, Helsinki hat überhaupt keine Verkehrstoten mehr. Es gibt Länder, die längst verstanden haben. Wenn wir Deutschen mal aufhören würden zu glauben, dass am deutschen Wesen die Welt genesen wird, dann könnte man von den Besten lernen. Dann könnten wir fragen, wie die Finnen das mit PISA und dem Schulsystem machen. Oder die Holländer mit den Innenstädten und dem Verkehr. Wie die Schweizer oder Australier das mit ihrer Rente regeln. Aber wir Deutschen möchten das Rad immer gern neu erfinden. Dadurch werden wir leider ein rückständiges Land.

Ich habe kürzlich mal zum Thema Energiewende recherchiert: Neuseeland ist bei weit über 80 % regenerativen Energien. Wir sind jetzt bei ca. 50 %. Wieso kann Neuseeland das besser als wir? Weil sie konsequent Geothermie machen. Die Dänen haben in den 90er-Jahren in jedem Haushalt eine Wärmepumpe eingebaut. Wir diskutieren 30 Jahre später immer noch ein Heizungsgesetz. Wir sind ein langsames, träges, innovationsfeindliches Völkchen.

Aber wie können wir das ändern? Wir wissen ja, dass etwas passieren muss. Brauchen wir Menschen wie dich, die da ein bisschen radikaler rangehen und nicht immer nur auf Kuschelkurs sind?

Ich glaube, es braucht mehr Leute in Führungspositionen, die etwas verändern wollen. Nicht solche wie manche Politiker. Friedrich Merz und Markus sind ist Klimaleugner. Merz sitzt bei „maischberger“ und leugnet die menchengemachte Klimakrise!

Frau Reiche baut in ganz Deutschland Gaskraftwerke. Die geht zurück ins fossile Mittelalter! Alois Rainer, unser Landwirtschaftsminister, kurbelt den Fleischkonsum an! Das ist alles ziemlich rückständig. Deutschland macht gerade eine große Rolle rückwärts.

Mir würde nur noch eine Alternative einfallen, die noch schlimmer ist, da wären wir dann bei der AfD.

Die AfD ist mir nicht mal den Atem wert, den ich brauche, um über sie zu reden. Die sind so dumm und geschichtsvergessen, dass sie mir meine Zeit nicht wert sind, darüber zu reden.

Interview mit Hannes Jaenicke zu Im Einsatz für den Oktopus
©ZDF/ Markus Strobel / Tango Film GmbH Hannes Jaenicke (l.) und Peter Hammarstedt (r.), dem weltweiten Kampagnenleiter von „Sea Shepherd“ mit illegalen Oktopus-Fangtöpfen in Griechenland

Aber mit der Regierung, die wir jetzt haben, können wir Umweltschutz und Nachhaltigkeit die nächsten vier Jahre doch auch knicken, oder?

Ich fürchte ja. Aber wenn ich dann sehe, was die Mitglieder beim LBV so treiben, wie hier Vogelschutz betrieben wird, macht mir das Hoffnung. Hier in Reichling, nicht weit vom Ammersee, wo ich lebe, wird nach Gas gebohrt. Direkt neben einem Naturschutzgebiet! Ich bin auf die Demo gegangen. Sogar der Dorfpfarrer ist dagegen.

Es gibt so viele engagierte Mitbürgerinnen und Mitbürger, die verstehen, dass diese Politik nichts bringt. Wir sind doch viel wacher, als die da oben glauben.

Das heißt, du glaubst an die Macht des Volkes und daran, dass die Politik darauf reagieren muss? Wenn wir uns mal an den Jahresanfang und all die Demos erinnern, da hätte ich dir noch zugestimmt. Und dann ist doch Friedrich Merz Kanzler geworden.

Da gebe ich dir recht, das war frustrierend. Auch dieses jahrelange Gebashe der Grünen, von Springer, von der CDU, von Söder und der FDP, das war alles unglaublich destruktiv. Aber was ist die Alternative? Aufgeben und sich sagen, dass sowieso alles verloren ist? Ich sehe einfach keine Alternative zum Engagement und zum Kämpfen.

Was treibt dich an? Was motiviert dich?

Ich bin ein absoluter Natur- und Meeresfan. Ich lebe im Grünen und finde alles, was mich umgibt, schützenswert. Wenn ich segeln gehe oder surfen oder kiten, dann hasse ich es, wenn überall Plastikmüll herumschwimmt. Ich finde, die Natur gibt uns so viel, und wir alle sollten da ein bisschen was zurückgeben. Ich versuche, meinen kleinen Teil dazu beizutragen.

Die Sendung „“Im Einsatz für den Oktopus“ könnt ihr heute im ZDF anschauen oder jederzeit in der ZDF Mediathek.


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