Anders, als das Titelfoto ahnen lässt, ist es eine wahre Freude, mit Nina Gnädig zu sprechen. Die Schauspielerin, die viele vermutlich aus „Der Rote Kakadu“, „Verliebt in Berlin“ oder „Little Paris“ (oder aus diversen Serien) kennen, ist nicht nur super offen in ihren Antworten, sie ist einfach auch sehr lustig. Guter Einstieg also in ein Interview, in dem es um ihre neue Serienfigur „Gabi“, Leben auf dem Land und Dreharbeiten, die sich wie ein geschenkter Sommer anfühlen, geht.

In „Tschappel“ spielt Nina Gnädig die Rolle der „Tante Gabi“. Eine Frau, die Nina euch im Interview am besten selbst beschreibt. Außerdem im Ensemble sind Jeremias Meyer in der Rolle des „Carlo“, Sebastian Jako Doppelbauer als „Blabla“, David Ali Rashed als „Aydin“ und Mina-Giselle Rüffer als „Pia“.
Nina, ich muss direkt gestehen: Ich hatte so viel Spaß beim Schauen von „Tschappel“. Aber es hat auch einen Moment gebraucht, bis ich da reingekommen bin. Denn der Dialekt ist ja nicht so ganz ohne. Es lohnt sich auf jeden Fall, aber was sagst du: Warum ist es super, wenn Menschen sich da reinfuchsen?
Nina Gnädig: Gebt dem Ganzen zehn Minuten, der Rest spricht für sich. Sich einmal darauf einzulassen – das ist ja schon ein bisschen wie Kopf voran von einer Klippe zu springen. Wir kennen das aus anderen Formaten, in denen mittlerweile ein bisschen berlinert oder bayerisch gesprochen wird. Das ist eine Mutprobe, bestimmt auch für die Zuschauer*innen, aber noch viel mehr für die Macher.
Und die Macher haben nicht nur das Herz am rechten Fleck, sondern ich halte die für ziemlich genial in der Art, Geschichten zu erzählen und dabei einen sensationellen Humor zu haben. Ich weiß von Achtjährigen, die gesagt haben, dass sie das lieben und nicht aufhören können, zu gucken. Das Gleiche weiß ich auch von 80-Jährigen.
Tatsächlich haben bisher alle nach zehn Minuten gesagt hat: „Ich will alle Folgen sehen!“.
So ging es mir auch! Ich finde auch, „Tschappel“ versöhnt einen mit der Provinz. Ich komme aus Berlin, ich kenne kein Dorfleben, aber beim Zuschauen habe ich immer wieder gedacht: (Euer) Dorf bietet schon auch ganz schön viele Freiheiten.
Oh, das freut mich! Ich bin ja vom Dorf. Ich bin erst in Bayern und dann auf der Schwäbischen Alb aufgewachsen, immer ländlich. Das heißt, für mich war Berlin ein Kontrastprogramm. Als ich die Drehbücher gelesen habe, habe ich gedacht: „Das ist meine Kindheit!“ Bei der Leseprobe haben die Kollegen alle gesagt: „Nee, ist meine Kindheit.“
Selbst Städter können das irgendwie total nachvollziehen. Da klingt was in mir an, ich kenne das. Ich finde, das ist den Machern unglaublich gut gelungen. Nun ist der Drehort auch ein Fleck Erde, der einfach besonders fruchtbar und abwechslungsreich ist. Der Bodensee ist eine der schönsten Ecken Deutschlands – mit den Alpen und dem ewigen Schnee da oben drauf bis zu den Apfelplantagen.
Die Leute haben hier einen sehr speziellen Dialekt. Ich glaube, die Serie bedient jedes Klischee, das Menschen vom Schwäbischen haben – um es zeitgleich zu widerlegen.
Ich musste nach dem Schauen auch direkt einer Freundin schreiben, die in einem ähnlichen Setting wohnt, weil ich sofort an unsere Sommer da denken musste. Und sie meinte, sie freut sich jetzt schon so auf „Tschappel“, wenn das diesen Effekt auf mich hat.
Das ist ja schön! Denn die Leute haben das verdient. Jemand aus dem Dorf, in dem wir da gedreht haben, hat uns nach Drehschluss beispielsweise mit lauter kleinen selbstgemachten Apfelmusgläsern versorgtt. Es war gerade die Zeit der ersten Apfelernte, die Bäume hingen voll.
Das Bräuhaus, in dem wir gedreht haben – die Besitzerin Irene –, die ist dort eine Institution, anders lässt sich das nicht sagen. Wir waren dort willkommen und geborgen. Es war, als würden wir alle noch mal eine Kindheit auf dem Land nachholen. Dieser Sommer in diesem kleinen Dorf, in dem es acht Störche gibt, die morgens klappernd zum Sonnenaufgang auf der alten Kirche stehen – und unten fließt das Bächlein vorbei.
Es war wirklich wie eine Märchenkulisse, in der wir arbeiten durften. Wenn man auf so kleinem Raum ist, dann wartet man aufeinander, bis das Auto nach Drehschluss voll ist und wir gemeinsam zurückfahren. Wir haben dort sehr viel Zeit, auch Freizeit, miteinander verbracht und die ganze Umgebung entdeckt. Ein Sommer mit großer Hitze – und großer Fülle.

Genau das überträgt sich auf die Zuschauenden. Was mir auch aufgefallen ist: Sowohl deine Gabi als auch Carlos sind ja beide irgendwie auf der Suche und wollen eigentlich weg vom Dorf. Und dann gibt es diese Figuren, die ganz unbedingt da bleiben wollen. Und plötzlich kann man beide Seiten verstehen. Denn vor dem Schauen habe ich natürlich gedacht: Entschuldigung, wer will denn da bleiben?
Ja! Tante Gabi kehrt von all ihren Reisen immer wieder zurück. Man weiß nicht, wie weit sie je gekommen ist, aber vermutlich sehr weit – mit sehr vielen Männern und ähnlich viel Alkohol. Am Ende landet sie doch immer wieder in ihrem Kinderzimmer und hilft dann in der Gastro aus. Aber sie macht sich immer ein richtig gutes Leben. Glück kann sie.
Deine Gabi finde ich auch deswegen so toll, weil sie so eine überraschende Tiefe hat. Klar trifft sie sich mit Männern, was sowieso jede*r so handhaben sollte, wie es ihr oder ihm passt. Und klar trinkt sie Alkohol und hat eine gute Zeit. Aber sie ist auch so entspannt sorgenfrei. Und in jeder Folge sagt sie was, bei dem ich denke: Das ist so tief und so schön!
So ging es mir auch. Ich habe angefangen, das Drehbuch zu lesen und war bereits auf Seite 3 dabei! (hab ich extra mal nachgeschaut!-))
So eine Frauenfigur visionär, hat man im deutschen Fernsehen überhaupt schon mal so jemand gesehen? Ich finde, es sollte viel mehr Tante Gabis geben – im Privaten, wie in der Fernsehlandschaft.
Sie macht Mut. Sie hält sich nur an ihre eigenen inneren Maßstäbe. Klar kann man die hinterfragen. Gabi hat dabei eine ganz große Fähigkeit, sich dem Augenblick hinzugeben, und eine große Muße darin, Glück zu empfinden.
Das macht diese Figur so besonders und so liebenswert, finde ich. Gleichzeitig ist sie auch wie der kleine Bruder von Carlo. [Sie lacht]
Man weiß nie, wann sie dabei ist – das weiß sie selbst ja auch oft nicht. Gabi ist immer auch ein Klotz am Bein und immer eine Bereicherung. Gleichzeitig.
Und sie ist immer willkommen. Denn natürlich habe ich mich am Anfang gefragt: Wer will denn mit seiner Tante Abiball feiern? Bis ich sie entdeckt habe und sofort verstanden habe, warum man Gabi immer überall dabei haben will. Sie macht Carlos ja auch Mut und sagt: Du kannst dein Abenteuer in der Welt suchen, schließ dich nicht so ein!
Und sie sagt auch: „Ich weiß es oft auch nicht besser.“ Wie viele Erwachsene sagen zu Kindern: „Ich weiß es gerade auch nicht. Lass uns das rausfinden“? Vielleicht sollte man mehr auf sein Herz hören. Und echt bleiben. Gabi kann gar nicht anders – und das liebe ich sehr an dieser Figur.
Sie hat so viel von dem, was ich immer schon mal spielen wollte. Ich wollte genau das! Sie ist ja der wandelnde Joker für alle anderen. Der Regisseur Marc Ginolas, der zusammen mit Marius Beck die Drehbücher geschrieben hat, hat über Gabi mal gesagt: Sie ist das Schweizer Taschenmesser dieser Serie. Du kannst sie immer ausklappen – immer wenn jemand in Not gerät: Tante Gabi. Wer könnte Muay Thai kämpfen? Tante Gabi. Wer könnte ein Flugzeug fliegen? Tante Gabi. Und dann ist sie auch die Person, die als Allererste mit Arschbombe ins Wasser springt. Und das Wasser ist flach.
Sie ist all das, was du gerade gesagt hast. Und ich wäre jetzt gerade so gern mehr wie sie. Aber ich denke an all die Aufgaben, die ich noch machen muss. Dabei würde ich eigentlich jetzt gern in der Sonne sitzen. Was glaubst du, was wäre ein Weg, dahin zu kommen, ein bisschen mehr zu werden wie Tante Gabi?
Ich glaube, jeder von uns hat eine Tante Gabi in sich. Es geht nur darum, sie zu leben, sie zuzulassen und ihr Gehör zu schenken. Tante Gabi würde raus in die Sonne gehen und die Aufgaben Aufgaben sein lassen. Das heißt ja nicht, dass du nicht die Aufgaben erledigst. Aber raus in die Sonne und einmal die Augen zu machen, den Frühling atmen und dabei einen guten Kaffee trinken? Kann man.
Die Editorin dachte beim ersten Lesen der Bücher: Oh, Gabi ist eine einsame Alkoholikerin, schwierig. Dann hat sie sie im Schnitt jeden Tag gesehen und mochte die Figur plötzlich. Und sie hat recht – Gabi ist beides. Sie trinkt das Leben bis zum letzten Tropfen. Sie ex’t alles.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Freiheit innen anfängt. Kinder sind da ja auch so großartig drin. Tante Gabi hat sich das einfach total bewahrt. Beim Dreh haben sie gesagt: „Jeder bräuchte eigentlich eine Tante Gabi.“ Und wenn man keine hat, dann sei dir selbst eine.
Wo hast du das hergenommen? Denn wenn ich dir so zuhöre, habe ich das Gefühl, du bist dir vielleicht auch nicht immer selbst eine Tante Gabi.
Was mir sehr vertraut ist, ist die große Lust am Augenblick. Da konnte ich sehr schnell andocken.
Ich spiele oft extreme Rollen – jeweils an den Enden des Regenbogens quasi. Prekariat oder Adel. Bei Tante Gabi habe ich gedacht: Ich darf einfach mal Cowboy-Boots tragen, immer dieselbe Jeans. Allein das ist so bequem, rein äußerlich. Und innerlich erst recht. Nun bin ich keine stramme Alkoholikerin [Sie lacht], aber diese Freude, die durch einen Moment geboren werden kann – die verstehe ich sehr, die findet ja jeder in sich.

Ich fand deine Tante Gabi im Vergleich zu allen anderen aber auch ziemlich stylisch. Du warst für mich in deiner Rolle immer ein totaler Hingucker. Tante Gabi zieht sich an wie in der Stadt – auch wenn sie im Zweifelsfall halt auch mal zupacken muss.
Ah, das finde ich ja interessant. Das war tatsächlich eine große gemeinsame Suche: Wie sieht Tante Gabi aus? Sie soll ja ruhig ein bisschen verlottert aussehen, gleichzeitig sollte man ihr anmerken, dass sie hat die weite Welt gesehen hat. Und trotzdem denken: Die setzt sich gleich auf den Trecker und fährt den aus der Matsche. Oder in die Matsche.
Ich finde, das ist dem Kostümbild wahnsinnig gut gelungen – und zwar bis ins kleinste Detail. Die sieht man gar nicht unbedingt alle. Die Maskenbildnerin hat ihr z. B. mehrere kleine Tattoos geschenkt, die sich teilweise nicht näher definieren lassen. Vielleicht hat sie sich die mal auf Bali stechen lassen, ganz gewiss aber im Übermut. Sie hat beispielsweise zwei Tattoos, auf der Rückseite des einen Oberarms steht „full“, auf der anderen konsequenterweise „empty“.
Oder wie trägt sie die Haare? Das fragt sich Tante Gabi nicht. [Sie lacht] Sie ist der kleine Bruder – und gleichzeitig ist sie einfach ein Vollweib. Das ist schön. Und selten.
Wir kommen da ganz langsam in Film und Fernsehen hin, dass Frauen mutig und stark und selbstbewusst sind und für sich einstehen. Die Szene, in der sie überfordert ist, weil ein Lover ihr sagt: „Ich liebe dich“, die war super. Weil’s eben nicht immer um eine Lovestory gehen muss, sondern einfach auch um Lust.
Ja, bei Liebe kommt sie an ihre Grenzen. Da ist Gabi auch ein wenig ein Eisberg: man sieht nur die oberen zehn Prozent– die restlichen neunzig ahnt man nur.
Das ist den Autoren richtig gut gelungen – dass das auch ohne jeden Zeigefinger passiert. Vielleicht ist Tante Gabi auch manchmal einsam. Dann erzählt sich das subtil mit. Dass da eine das Leben mit beiden Händen packen und küssen will.
Noch eine letzte Frage: Du hast gesagt, du bist auch so ländlich aufgewachsen und dann nach Berlin gekommen, was vermutlich ein ziemlicher Schock war. Kannst du das nachempfinden, dieses Raus-in-die-Welt-Wollen? Denn du bist ja nicht wieder zurückgegangen, oder?
Meine Familie wohnt noch in Süddeutschland, dadurch habe ich das Glück, immer wieder hinzukönnen. Da fühlt es sich leicht an, in Berlin zu sein, weil ich wirklich das Beste aus beiden Welten habe. Ich habe Norden und Süden, Osten und Westen, ich habe Stadt und Land, die Vertrautheit und die Fremde.
Für mich war Berlin das Amerika Deutschlands. Ich habe das sehr genossen, nach Berlin zu kommen – ich wollte mit 14 schon weg. Natürlich hatte ich mit 18 meinen Führerschein. Denn die Alternative war Bus fahren von Oggenhausen nach Heidenheim, der ging fünf Mal am Tag. Ohne Auto kommst du nicht weit. Natürlich hatten viele mit 16 schon eine Vespa. Und mit 13 schon 16-jährige Freunde, die eine hatten.
Berlin war das andere Ende der Welt für mich – in allem. Ich habe „Grüß Gott“ zu den Leuten gesagt. Die haben mich angeguckt! (sie lacht)
Meine Kindheit bestand daraus: Wer kann am schnellsten rennen? Wer hat am wenigsten Angst vor Kühen jenseits des Zauns? Wer holt die toten Goldfische aus dem Seerosenteich im Wald und trägt sie in den Hosentaschen nach Hause? Wer pinkelt gegen den elektrischen Zaun? Das waren die Maßstäbe, mit denen ich aufgewachsen bin. Damit kommt man in Berlin tatsächlich nicht allzu weit. Ich musste mich in dieser Stadt wirklich erst mal (zurecht)finden.
Die achtteilige Serie „Tschappel“ könnt ihr ab sofort in Doppelfolgen immer dienstags auf ZDF neo schauen. Alternativ findet ihr die Folgen in der ZDF Mediathek.
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